Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1

schuss. Er war in Frankreich, Belgien und
auf der Krim stationiert, nach dem Krieg
geriet er in sowjetische Gefangenschaft.
Hinrich Böhmermann war nicht in der
Partei, er war nur Soldat, wie viele Män-
ner seiner Generation. Jeder hat einen Hin-
rich in seiner Familie. Böhmermann hat
ihn 2017 zum Thema gemacht, in der halb
fiktiven Dokumentation »Reichspark«. Es
ging um den angeblichen Bau eines Frei-
zeitparks, in dem Besucher die Nazizeit
nacherleben können.
Zu Beginn ist AfD-Chef Alexander Gau-
land zu sehen, er sagt, man habe das Recht,
»stolz zu sein auf die Leistungen deutscher
Soldaten in zwei Weltkriegen«. Schnitt.
Böhmermann sitzt vor einer dunklen
Wand wie sonst Zeitzeugen in den ZDF-
Historiendokus, er hat ein Schwarz-Weiß-
Foto des Urgroßvaters in der Hand und
fragt: »Na, sag mal, Hinni, worauf soll ich
stolz sein?« Er lauscht. »Hä? Was?« Pause.
»Sagt nichts.«


* Mit dem Satiriker Martin Sonneborn, YouTuber Rezo
und Kabarettist Nico Semsrott in Köln.

Die Szene hat etwas Anklagendes. Böh-
mermann sagt, er wolle seinen Ahnen
nicht verurteilen, »aber wenn wir uns auf-
richtig mit dem Vergangenen beschäftigen
wollen, dann über die Menschen, die uns
am nächsten sind. Bei echter Verantwor-
tung wird es immer persönlich.« Schuld
seien nicht »die Nazis« gewesen, sondern
»unsere Mütter, unsere Väter. Und es kann
jederzeit wieder passieren«.
Das ist der entscheidende Unterschied
zu Harald Schmidt, bei dem Böhmermann
das Handwerk gelernt hat. Schmidt legte
seine Maske nie ab, nicht einmal vor sei-
nen Mitarbeitern. Er blieb stets Dirty Har-
ry, der Zyniker. Ob er Polenwitze erzählte
oder mit Playmobil Faust nachspielte.
Bei Böhmermann hingegen scheint zu-
nehmend der Moralist durch. Er sagt, eine
Kunstfigur konsequent durchzuhalten, wie
Schmidt das getan habe, sei heute nicht
mehr möglich. »Die Zeiten sind andere.
Wir stehen nicht mehr oben an Deck in
der Kapitänsuniform und lachen über die
Trottel unter Deck im Maschinenraum,
sondern wir stehen im Maschinenraum.

Und die Maschine verliert Öl und Kühl-
wasser.«
Schmidt, das waren die späten Neunzi-
gerjahre. Alles war ironisch. »Harald hat
immer gesagt, nach der Ironie kommt das
Pathos«, sagt Böhmermann. »Das stimmt
nicht. Nach der Ironie kommt die Wirk-
lichkeit. Auf einmal müssen wir Dinge be-
arbeiten, die wir für unverrückbar gehal-
ten haben. Früher bekamen wir Mahnun-
gen auf den Weg: Demokratie braucht
Pflege, die Decke der Zivilisation ist dünn,
sie bricht leicht ein. Das haben wir grin-
send als peinliche Floskeln abgetan. Jetzt
ist es ernst.«
Seit einigen Jahren beschäftigt Böhmer-
mann sich damit, wie die Rechten digital
so erstarken konnten. Wie sie sich im Netz
organisieren, in digitalen Hinterzimmern,
um als organisierte Truppe aufzutreten.
Im April 2018 griff er in einem Video die
rechte Netzaktion »Reconquista Germa-
nica« an. Darin rief er zur digitalen Ge-
genbewegung »Reconquista Internet« auf:
»Wenn nur jeder Hundertste mitmacht,
dann haben wir tausendmal mehr Leute
als die scheiß Nazis.«
Die Revanche folgte wenige Tage später.
Rechte Aktivisten hackten seinen E-Mail-
Account, fluteten ihn mit Hunderten von
Newslettern und bestellten von Böhmer-
manns Mailadresse aus Waren. Der Fall
ging an den Staatsschutz.
Auf Facebook und Twitter ist Böhmer-
mann harten Anwürfen ausgesetzt. Eine
der kläglichsten Einlassungen stammt vom
österreichischen Extremsportler Felix
Baumgartner. Sie war die Revanche für
ein Interview Böhmermanns. Darin hatte
der sich über die rechtspopulistische FPÖ
ausgelassen und die Österreicher als »acht
Millionen Debile« bezeichnet, in Abwand-
lung eines Zitats von Thomas Bernhard.
In einer sogenannten Satire verunglimpf-
te Baumgartner daraufhin Böhmermanns
Vater als pädophil, weil die Mutter bei der
Geburt erst 18 Jahre alt gewesen sei. Der
frühe Tod von Böhmermanns Vaters ver-
leitete Baumgartner zu dem Schluss, dem
Mann sei einiges erspart geblieben, »uns
leider nicht«. Böhmermanns Job hat auf-
gehört, nur lustig zu sein.
Es gibt ein Foto von Böhmermann, das
ihn halbnackt zeigt, mit einem Sombrero
auf dem Kopf und einem Tanga vorm Ge-
mächt. Neben ihm lehnt ein Einrad. Es ist
ein Standbild aus einem Einspielfilm, den
er vor ein paar Jahren für die »Harald
Schmidt Show« gedreht hat.
Böhmermann postet das Foto manch-
mal, wenn er mal wieder die Republik in
Wallung versetzt hat. Es soll sagen: Leute,
ich bin doch nur ein Clown. Es wirkt, als
müsste er sich selbst daran erinnern.
Alexander Kühn
Mail: [email protected]

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JULIA HÜTTNER / DPA PICTURE ALLICANCE

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