Der Spiegel - 20.09.2019

(Barré) #1
Sarkar weiß nicht, was Klimawandel be-
deutet. Er hat das Wort noch nie gehört.
Aber er spürt, dass sich seine Welt verän-
dert. Früher habe es eine Flut pro Jahr ge-
geben, erzählt er. Heute gebe es zwei,
manchmal drei Überschwemmungen.
Der Klimawandel macht die Welt zur
Krisenzone, jede Region auf andere Weise.
Indien ist betroffen, aber auch das südliche
Afrika. Im Binnenland Südafrikas liegt die
Temperatur bereits um fast zwei Grad Cel-
sius höher als vor 100 Jahren, ähnlich sieht
es auch im benachbarten Botswana aus.
Die Länge der Trockenzeiten nimmt stetig
zu, und wenn es dann regnet, immer häu-
figer sintflutartig. Die Folgen sind überall
die gleichen: chronischer Wassermangel,
Missernten, Viehsterben.
Welche Katastrophenszenarien auf
Städte zukommen könnten, mussten im
vergangenen Frühjahr die Bürger von Kap-

stadt erfahren: Der Metropole an der Süd-
spitze des afrikanischen Kontinents drohte
als erster Millionenstadt der Welt das Was-
ser auszugehen. Nach drei aufeinanderfol-
genden Wintern, in denen die geringsten
Regenfälle seit einem Jahrhundert gemes-
sen wurden, waren die großen Dämme
und Wasserspeicher fast leer. Es war die
schlimmste Dürre seit 1933. Der »Day
Zero«, der Tag, an dem die Hähne abge-
dreht werden sollten, konnte durch drasti-
sche Sparmaßnahmen gerade noch abge-
wendet werden.
Der Wassermangel infolge des Klima-
wandels sei die »neue Normalität«, sagen
südafrikanische Wetterforscher. Kapstadt
wird sich wie São Paulo, Los Angeles, Mel-
bourne und andere Metropolen, die in
dürre geplagten Regionen liegen, darauf
einstellen müssen. Denn seit Mitte des


  1. Jahrhunderts hat sich die Weltbevöl-


kerung verdreifacht, während sich der
Wasserverbrauch versechsfacht hat.
Das ist der Zustand der Welt im Jahr
2019, bei einem Grad globaler Erwär-
mung. Von hier aus könnte es schnell sehr
viel schlimmer werden. Das liegt an den
sogenannten Klima-Feedbacks. Schneebe-
deckte Gletscher reflektieren Sonnenstrah-
len ins All. Wälder speichern den Kohlen-
stoff des CO 2 , genau wie die Permafrost-
böden der arktischen Tundra. Steigen die
globalen Temperaturen, dann schmelzen
die Gletscher, die Wälder brennen, die Per-
mafrostböden tauen. Mehr CO 2 gelangt in
die Atmosphäre, die Erwärmung beschleu-
nigt sich, mehr Gletscher, Wälder und
Permafrostböden werden verschwinden,
mehr CO 2 entweicht. Ein Teufelskreis.
Allein die Permafrostböden speichern
doppelt so viel Kohlenstoff, wie sich der-
zeit in der Atmosphäre befindet, teils als

HERVE TARDY / DDP

200 MILLIONENMenschen leben weltweit in Städten, die mit Temperaturen von mehr als 35 Grad Celsius kämpfen.
Paris ist eine der am dichtesten besiedelten Metropolen Europas und leidet besonders stark unter extremer Hitze.

1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2018


2016 lag die Durchschnittstemperatur
an Land 1,5 °C über dem Mittel des


  1. Jahrhunderts.

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