Süddeutsche Zeitung - 20.09.2019

(Barré) #1
von juliane liebert

I


hren ersten Song nahm Dena in Bulga-
rien auf einem Kassettenrekorder auf.
Sie schrieb die Texte und Backingvo-
cals, die sie ihrer Schwester mit einem „Du
singst das jetzt“ aufdrückte. Der Song hieß
„Der Milchmann“, und die erste Zeile laute-
te „Der Milchmann ist eine Frau“. Mit die-
sem ersten Statement war sie so zufrieden,
dass sie das Musikgeschäft erst mal ruhen
ließ. Zehn Jahre lang.


Inzwischen hat sie zwei Alben und eine
EP veröffentlicht. „Aber EPs sind ja offen-
sichtlich allen egal. Die Aufmerksamkeit
liegt inzwischen mehr auf Singles“, grinst
sie über einem Kaffee am Paul-Lincke-
Ufer in Berlin. Dena — bürgerlich: Denitza
Todorova — ist Musikerin. Sie mischt
manchmal englische Worte in ihre deut-
schen Sätze, aber nicht, wie Teenies es tun,
sondern dann, wenn das Englische etwas
beschreibt, für das es im Deutschen keine
echte Entsprechung gibt. „Forever“ ist
nicht das gleiche wie „Für immer“, wenn
man über Popmusik spricht. In ihrem Kopf
gingen meistens drei Sprachen durchein-
ander, sagt sie, und man denkt: vielleicht
war Babel der beste Ort, die Bewohner hät-
ten sich nur zusammenraufen müssen.
Denitza Todorova verließ Bulgarien zu ei-
nem Zeitpunkt, als ein Achtel der Bulgaren
aus dem Land ausreisten. „Alle Eltern ha-
ben ihre Kinder losgeschickt: Für dich gibt
es im Westen mehr Hoffnung.“ Sie ging
nach Mainz, 2004 kam sie nach Berlin, wo
ihr alle sagten, sie hätte die beste Zeit der
Stadt gerade verpasst. Man zog aus dem
Prenzlauer Berg, damals das Epizentrum


der Coolnees nach Mitte. („Heute hat man
völlig vergessen, dass diese Stadtteile exis-
tieren!“) Eine Freundin fragte sie, ob sie ei-
ne Band gründen wolle. Es war nach der
Electroclash-Welle, sie spielten auf einem
geklauten Synthie und geborgten Drums.
2011 schrieb sie unter dem Namen Dena
ihren ersten Hit, „Cash, Diamond Rings,
Swimming Pools“. Ein Song mit derartigen
Ohrwurmqualitäten, dass jeder, der ihn
einmal gehört hat, mantrahaft „CASH! DIA-
MOND RINGS! SWIMMING POOLS!“ vor
sich herbrummt, wenn man den Titel er-
wähnt. („Cash – one thing I ain’t got in the
hood. Diamond rings – I don’t need them.
All I want is chill with my friends by the

swimming pools.“) Man könnte zwar sa-
gen, dass Pools ohne Cash und Diamanten
schwer zu haben sind, aber offenbar ist
hier eher das Columbiabad gemeint oder
das Prinzenbad, und die sind ja für alle.
Wovon lebt man im Musikbusiness als
junger Künstler derzeit so? Dena hat einen
Vertrag mit einem Londoner Verlag, spielt
Gigs und bekommt Geld aus Filmsynchro-
nisationen. Als sie in L.A. arbeitete, waren
in den Studios in den anderen Räumen oft
sogenannte Songwriting Camps, in denen
Songwriter für andere Künstler Songs
schreiben, oft für Major Labels. „Es ist so
krass, wenn aus der Musik die Seele rausge-
nommen wird und nur noch die Geschäfts-

seite bleibt. Fremde, die überall in den
Großstädten dieser Welt in einen Raum ge-
steckt werden. Auf der Suche nach dem per-
fekten Hit.“ In diesen Hit-Fabriken entste-
hen Songs für die großen Stars. Sie selbst
sieht ihre Arbeit als eine Parallelwelt dazu:
Eine selbst organisierte Welt aus Musikern
und Künstlern, deren Arbeit sie liebt und
mit denen sie seit Jahren in verschiedenen
Städten der Welt arbeitet. Aber sie hat in
L.A. auch andere Orte gesehen,
„I don’t know. Ich will forever“, sagt sie,
stockt kurz, erklärt sich „Es ist supernaiv.
Ich will für immer, forever, an die Bedeu-
tung von Songs glauben. Hinter jedem Pop-
hit gibt es immer jemanden, der gelitten

hat. Ich finde es schön, wenn manchmal
die schrecklichste Musik die ganze Welt be-
rührt und alle das hören. Das ist ja nicht,
dass die Leute von irgendeiner Maschine
gesagt bekommen, die müssen das jetzt hö-
ren. Sondern dass eben der Song in diesem
Moment für viele Leute etwas bedeutet.
Man kann das schwer nachstellen. Es ist
immer auch magic“, sie verwendet das eng-
lische Wort, „und Glück“.
Denas Songs versuchen nicht zu verber-
gen, dass sie von Grund auf selbstgemacht
sind. Die Drumcomputer scheppern roh,
die House-Chords klingen wie frisch übers
Midi-Keyboard gespielt. Auf ihrem ersten
Album war sie noch näher am Hip-Hop,
den sie aber auf seinen nackten Körper aus-
zog. „If It’s Written“ aus dem vergangenen
Jahr bewegte sich dagegen zwischen Club-
musik, R’n’B und durchaus mainstreamre-
sistentem Songwriter-Pop (Erlend Øye hat
einen Gastauftritt). Gerne schichtet sie
mehrere Lagen ihrer Stimme, bleibt gele-
gentlich an einer Textzeile hängen, als wür-
de die Platte springen. Und ist sie in einen
Groove verliebt, lässt sie ihn auch mal ein
paar Takte länger als nötig laufen. Sie arbei-
tet dabei großteils in ihrer Wohnung an ih-
rer Musik. Im Sommer schrieb sie neue
Songs in einer Künstlerresidenz in Italien.

Die ersten Videos dazu werden bald er-
scheinen. Einer ihrer Nachbarn ist auch
Produzent, „der ist auf dem gleichen Film,
immer einen Loop laufen lassen und dran
arbeiten. Wir gehen uns vermutlich gegen-
seitig auf die Nerven. Ich hab schon mal
überlegt, ihn zu fragen, ob wir einen Zeit-
plan machen können, wer wann arbeitet.“
Sie glaubt nicht an Gehirnwäsche, glaubt
aber, das es auf Spotify von Algorithmen er-
schaffene Songs gibt, „die Invasion of the
metrics“, Künstler, die es gar nicht gibt, die
nur für Playlisten erschaffen werden.
In der Musikindustrie herrscht ein ziem-
liches Chaos gerade, sagt sie. „Klar, durch
das Internet gibt es sehr viel kreative Frei-
heit, aber die Märkte sind vollkommen au-
ßer Kontrolle geraten. Und ultrakapitalis-
tisch. Da wo das Geld herkommt, dahin
fließt es auch zurück.“ Nur für Social Media
produzierter „Content“ nervt sie: „Ich will
nicht weiter die Welt mit „Inhalten ver-
schmutzen. In den vergangenen Jahren
fand ich schon, dass es eine coole Lücke
gab für DIY Künstler. Aber ich habe zuneh-
mend das Gefühl, dass das Geld wirklich
nur noch an die großen Labels geht. Die Big
Players, die das Geld für Promo haben. An
die Leute mit Vollzeitstellen, nicht die un-
abhängigen Künstler.“ Sie singt „It’s tri-
ckyyy“.

12 HF2 (^) FEUILLETON Freitag,20. September 2019, Nr. 218 DEFGH
Die „Opéra National du Rhin“ im Elsass ist
von Kritikern zum „Opernhaus des Jahres“
gewählt worden. In einer Umfrage der Zeit-
schrift „Opernwelt“ unter 50 Musikjourna-
listen bekam das Haus mit Spielstätten in
Straßburg, Colmar und Mülhausen die
meisten Stimmen. Die Opéra National du
Rhin errege „durch Entdeckerfreude, origi-
nelle Programme, vorbildliche Repertoire-
pflege sowie kreativen Esprit“ Aufsehen,
erklärte die Zeitschrift. Damit gewann
nach Lyon zum zweiten Mal eine französi-
sche Kompanie den Titel.
Als beste Aufführung wurde die „Salo-
me“-Produktion der Salzburger Festspiele
ausgewählt. Der Italiener Romeo Castelluc-
ci wurde zum besten Regisseur und Büh-
nenbildner des Jahres gekürt. Die litaui-
sche Sopranistin Asmik Grigorian, die in
„Salome“ die Hauptrolle spielte, ist „Sänge-
rin des Jahres“. Fast die Hälfte der Kritiker
entschied sich für Grigorian. So viele Voten
entfielen in fast drei Jahrzehnten der Kriti-
kerumfrage noch nie auf einen Sänger
oder eine Sängerin.
Die „Opernwelt“ befragt jährlich 50 Kri-
tiker aus Europa und den USA. Die Umfra-
ge ist freilich nicht repräsentativ, sie zeigt
ein Stimmungsbild. Die Experten können
ohne Vorauswahl ihre Favoriten nennen,
weshalb sich die Stimmen oft auf viele Häu-
ser verteilen. Für die Opéra National du
Rhin setzten sich sieben Kritiker ein.
„Dirigentin des Jahres“ ist Joana Mall-
witz, die neue Musikchefin am Staatsthea-
ter Nürnberg. Die 33-Jährige habe das
Kunststück vollbracht, „binnen kürzester
Zeit Musiker, Publikum und Kritik zu be-
geistern, unter anderem mit Prokofjews
selten gespielter Tolstoi-Oper „Krieg und
Frieden“ und Wagners „Lohengrin“,
schrieb der verantwortliche Redakteur, Al-
brecht Thiemann. Mallwitz setzte sich da-
mit gegen bekannte Kollegen wie Kirill Pe-
trenko und Christian Thielemann durch.
Auch andere Musiker aus Deutschland
konnten Kritiker überzeugen. So ist das
Bayerische Staatsorchester zum achten
Mal „Orchester des Jahres“ und der Chor
der Staatsoper Stuttgart zum zwölften Mal
der „Chor des Jahres“.
Im vergangenen Jahr war die Oper
Frankfurt zum Jahressieger ernannt wor-
den, nun also die Oper im Elsass. Ihr Profil
verdanke sie maßgeblich „dem Ideenreich-
tum, Teamgeist und Weltbürgertum“ der
Intendantin Eva Kleinitz, die kürzlich mit
47 Jahren gestorben ist. Die Würdigung
der Oper werde so auch „zu einer Hom-
mage an die Persönlichkeit, die deren Hö-
henflug steuerte“. dpa
„Ich will nicht weiter
die Welt mit Inhalten
verschmutzen.“
„Ich finde es schön, wenn manchmal die schrecklichste Musik die ganze Welt berührt.“ – Dena. FOTO: NATALIE NEOMI ISSER
Was tun junge Künstler, Literaten
oder Wissenschaftler, wenn sie noch
nicht etabliert sind? Sie denken über
Kunst, Literatur oder Wissenschaft
nach. In dieser Serie erzählen sie, wie
sie ihre Zukunft sehen – und die
Zukunft ihrer Disziplin. Diesmal:
Die aus Bulgarien stammende
Musikerin Denitza Todorova alias Dena.
Entdeckerfreude
Die „Opéra National du Rhin“
ist Opernhaus des Jahres
Coole Lücke
DieBerliner Sängerin Dena und die Frage, warum „Forever“ nicht das
Gleiche wie „Für immer“ ist, wenn man über Popmusik spricht
A
M
S
T
A
R
T
Referenten (Auszug)
Sponsor
Hans Meier
Stadtdirektor
Stadt Ingolstadt
Roland Matthé
Technical Fellow Battery
Systems
Opel Automobile GmbH
Dr. Rolf Nicodemus
Project Vice President
Connected Parking
Robert Bosch GmbH
©
Frank Eppler
Melanie Peschel
Leitung Partizipation „C/
sells“ Smart Grids-Plattform
Baden Württemberg e.V
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Senior Vice President Sales
& Products
EnBW Energie Baden-
Württemberg AG
Ein Kongress von
Jörg Reimann
CEO,
Park Now & Charge Now
©
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ger
Susanne Schmelcher
Senior Expert Engineer,
Deutsche Energie-
Agentur GmbH
(^) ©
hoffotografen
Kilian Schmidt
Director Legal & Public
Policy
TIER Mobility GmbH
Dr. Bianca Hoersch
Chief Digital Officer,
European Space Agency
(ESA)
Martin Huber
Leitung Amt Verkehr,
Freie Hansestadt Hamburg
Thomas Fehling
Bürgermeister,
Bad Hersfeld
©
Mag. Krst. Bad Hersfeld
Raphael Görner
Geschäftsbereichsleiter
Grids Power Quality &
Service Solutions ABB AG
(^) ©
Luca Siermann
Ole von Beust
Geschäftsführer
Smartparking e.V.
©
Engel & Gielen
Martin Kumstel
Associate Public Policy
UBER Germany GmbH
Carsten Hansen
Leiter Innenstadtlogistik
Bundesverband Paket und
Expresslogistik e.V.
(^) ©
berndEBSEN
Dr. Anna-Lena Klingler
Leiterin Team
„Energy Innovation“
Fraunhofer IAO
Ludger Koopmann
Stellvertretender Bundes-
vorsitzender Allgemeine
Deutsche Fahrrad-Club e.V.
Asli Kaymaz
Co-Founder & CMO
onTRACK
tHeo.2.meet • 10./ 11. Oktober 2019 • Stuttgart
Stadt der Zukunft – Zukunft der Stadt
Die Stadt im Umbruch
Ein Kongress der Stuttgarter Zeitung für Kommunen,
Unternehmen, Wissenschaft und Gesellschaft
Themenschwerpunkte:



  • Verkehr • Daten • Energie


Christian Lang
CEO
Chargery GmbH

Volker Fricke
Mitgründer
e3charge

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