Süddeutsche Zeitung - 20.09.2019

(Barré) #1
von björn finke
und alexander hagelüken

Brüssel/München– Paukenschlag im ös-
terreichischen Parlament: Ein Ausschuss
stimmt mit breiter Mehrheit gegen das um-
strittene Freihandelsabkommen der EU
mit dem südamerikanischen Wirtschafts-
block Mercosur. Dies würde die Regierung
zwingen, in Brüssel ein Veto gegen den Ver-
trag einzulegen, der die größte Freihan-
delszone der Welt schaffen soll. Allerdings
wählen die Österreicher kommende Wo-
che ein neues Parlament. Und die EU-Mit-
gliedsstaaten entscheiden über den Ver-
trag wohl erst in anderthalb Jahren. Den-
noch: Mancher sieht bereits eine Wieder-
auflage des Dramas um das Ceta-Abkom-
men mit Kanada, das 2016 fast scheiterte.
Die österreichischen Parlamentarier
mehrerer Parteien kritisierten, der Merco-
sur-Vertrag diene vor allem der Exportwirt-
schaft, gehe aber zulasten der Umwelt und
europäischer Bauern. Die Wiener Abgeord-
neten sind nicht die ersten, die das Abkom-
men mit den Staaten Brasilien, Argenti-
nien, Paraguay und Uruguay kritisieren.


Ende August drohten bereits Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron, der irische
Regierungschef Leo Varadkar, Luxem-
burgs Außenminister Jean Asselborn und
die slowakische Agrarministerin Gabriela
Matečná, das Abkommen zu blockieren,
das mehr als 90 Prozent der Zölle abschaf-
fen und so Exporte ankurbeln soll. Grund
waren die Brandrodungen im Amazonas-
Regenwald, gegen die der brasilianische
Präsident Jair Bolsonaro nach Meinung vie-
ler Kritiker nicht genug tut oder die er gar
billigen soll.
Auch mögliche Nachteile für Europas
Bauern treiben nicht nur Österreich um. So
warnten die Regierungen Polens, Belgiens,
Frankreichs und Irlands kurz vor der
Grundsatzeinigung im Juni, Mercosur de-
stabilisiere Europas Landwirtschaft.
Was bedeutet solche Skepsis für das
Schicksal des Vertrags? Ein ähnlich bedeut-
sames Handelsabkommen, der Ceta-Ver-
trag mit Kanada, scheiterte vor drei Jahren
beinahe. Und zwar am Widerstand der bel-
gischen Region Wallonie, in der etwa drei-
einhalb Millionen Menschen leben, 0,7 Pro-
zent der EU-Bevölkerung. Die Wallonie kri-
tisierte die Klagerechte für Konzerne.
Nach Kompromissen in letzter Minute trat
Ceta vor genau zwei Jahren vorläufig in
Kraft. Europas Exporte nach Kanada stie-
gen 2018 gegenüber den vorangegange-
nen drei Jahren um 15 Prozent auf mehr als
40 Milliarden Euro. Das war ein doppelt so


starker Zuwachs wie im Geschäft mit ande-
ren Handelspartnern. Die Brüsseler Kom-
mission wollte nach Cetas Beinahe-Tod
2016 erreichen, dass künftig klar geregelt
wird, wann nationale Parlamente zustim-
men müssen.
Eine Sprecherin sagte am Donnerstag
zu dem Beschluss aus Wien, die Behörde
kommentiere nie Debatten in Mitgliedstaa-
ten. Nach der Grundsatzeinigung zu Merco-
sur im Juni arbeiten die Juristen daran, die-
se in einen Vertrag zu gießen, der dann
übersetzt wird. Erst danach – frühestens
Ende 2020 – beschäftigen sich die EU-Mit-
gliedsstaaten sowie das EU-Parlament da-
mit; später müssen nationale Parlamente
zustimmen.
Die deutsche Europaabgeordnete Anna
Cavazzini von den Grünen klagt, das Ab-
kommen werde die Rindfleischexporte
aus Brasilien nach Europa weiter ankur-

beln. Für die Weideflächen würden Wälder
brandgerodet – daher gefährde der Ver-
trag „die grüne Lunge im Amazonasge-
biet“.
Anders argumentiert der Vorsitzende
des zuständigen Handelsausschusses:
„Wenn wir Brasiliens Präsidenten Bolsona-
ro an die Leine legen wollen, geht das nur
mit rechtsverbindlichen Abkommen“, sagt
der SPD-Politiker Bernd Lange. „Das Ab-
kommen zu stoppen rettet nicht den Re-
genwald.“ Lange verweist darauf, dass der
Vertrag nicht nur Sozialstandards vorsehe,
sondern die Länder auch auf die Ziele des
Pariser Klimaschutz-Abkommens ver-
pflichte. Für Brasilien bedeutet dies, dass
die Regierung die illegale Abholzung stop-
pen und Wälder aufforsten muss. Aller-
dings lege das Abkommen bisher keine
Strafen bei Verstößen fest, klagt der Politi-
ker. „Doch das können wir nachbessern, so-

lange die Juristen daran arbeiten.“ Ohne
solche Änderungen sei der Vertrag „nicht
akzeptabel“, aber würde der Text ange-
passt, habe er gute Chancen, in anderthalb
Jahren von Mitgliedstaaten und Europa-
parlament akzeptiert zu werden.
Greenpeace fordert, den Entscheidungs-
prozess auszusetzen. „Das Nachhaltigkeits-
kapitel im Vertrag ist zu zahnlos, um den
Amazonas-Staat Brasilien zu einer ernst-
haften Klimapolitik zu bewegen“, klagt Jür-
gen Knirsch. Das Vorsorgeprinzip, das Eu-
ropas Verbraucher vor Umwelt- und Ge-
sundheitsgefahren schützen soll, sei nicht
wirksam im Abkommen verankert. Außer-
dem ließen die Korruptionsskandale in der
brasilianischen Fleischwirtschaft nach wie
vor an der effektiven Kontrolle hygieni-
scher Standards zweifeln – das berge Ge-
fahren für europäische Verbraucher. 2017
hatte die Polizei nach Razzien zahlreiche

Gesundheitsinspekteure festgenommen,
die ebenso wie Politiker bestochen worden
sein sollen. Der JBS-Konzern gab zu, 200
Inspekteure jahrelang geschmiert zu ha-
ben. Europa bezieht schon heute über die
Hälfte des Rindfleischs und Geflügels aus
den Mercosurstaaten. Dieser Anteil könnte
durch das Abkommen noch steigen.
Während Europa immer intensiver über
das Abkommen debattiert, gibt es auch in
Südamerika Ärger: Innerhalb des Merco-
sur wachsen ebenfalls die Spannungen. So
beschimpft der brasilianische Staatschef
Bolsonaro den Favoriten für die Präsiden-
tenwahl in Argentinien Ende des Jahres,
weil ihm dessen Politik zu links ist. Brasili-
en droht gar damit, den Wirtschaftsblock
zu verlassen. Der wäre allerdings ohne die
größte Volkswirtschaft Südamerikas be-
deutungslos – und damit auch das Han-
delsabkommen mit Europa.

Brennende Zweifel


Österreichische Parlamentarier wollen das EU-Mercosur-Abkommen blockieren – und sie sind nicht
die Einzigen. Droht ein ähnliches Drama wie um den Handelsvertrag Ceta mit Kanada?

Berlin– Die Bundesregierung hat es eilig
mit der Wiedereinführung der Meister-
pflicht. Sie hätten den Gesetzentwurf an
die anderen Ressorts, Länder und Verbän-
de verschickt, sagte der Parlamentarische
Staatssekretär im Bundeswirtschaftsmi-
nisterium, Christian Hirte (CDU), am Don-
nerstag. Ziel sei ein Kabinettsbeschluss
schon am 9. Oktober. „Die Meisterpflicht
macht Handwerksberufe attraktiv“, sagte
Hirte. Mit der Wiedereinführung wolle
man den „Stand des Meisters in der öffent-
lichen Wahrnehmung verbessern“.
Vorbereitet hatte den Entwurf eine Koa-
litionsarbeitsgruppe von Union und SPD.
Vor knapp zwei Wochen verkündeten die
Fachpolitiker dann die grundsätzliche Eini-
gung: In zwölf Gewerken soll der Meister-
brief wieder Voraussetzung sein, um einen
Betrieb selbständig führen zu dürfen.
Geprüft hatten Union und SPD sogar 32 Ge-
werke. Damit wird die Handwerksliberali-
sierung des Jahres 2004 zumindest teilwei-
se rückabgewickelt. Damals war die Meis-
terpflicht für 53 von 94 Handwerksberu-
fen abgeschafft worden. Wiedereingeführt
wird sie nun für den Fliesen-, Platten- und
Mosaikleger, für Betonstein- und Terrazzo-
hersteller, Estrichleger, Behälter- und Ap-
paratebauer, Parkettleger, Rollladen- und
Sonnenschutztechniker, Drechsler und
Holzspielzeugmacher, Böttcher, Glasvered-
ler, Schilder- und Lichtreklamehersteller,
Raumausstatter sowie für Orgel- und Har-
moniumbauer.
Hirte betonte, dass die Auswahl auch da-
nach getroffen worden sei, was europa-
und verfassungsrechtlich vertretbar sei.
Kriterien seien gewesen, ob ein Beruf „ge-
fahrgeneigt“ sei, es also um den „Schutz
von Leben und Gesundheit“ gehe. Beim
Fliesenleger beispielsweise ist das laut
Wirtschaftsministerium deshalb der Fall,
weil er es mit Gefahrstoffen zu tun hat, et-
wa bei der Asbestentsorgung. Zweites Kri-
terium war der „Schutz von Kulturgütern
und immateriellem Kulturerbe“, etwa bei
der Restaurierung von historischen Mö-
beln oder von Kunstgegenständen in Kir-
chen durch Drechsler. Dabei spielt auch ei-
ne Rolle, dass das Fachwissen auf diesem
Gebiet bewahrt werden soll, die Ausbil-
dungsleistung in liberalisierten Gewerken
aber gesunken war. Das Handwerk hatte
das stets als Argument gegen die Abschaf-
fung der Meisterpflicht angeführt. Gleich-
zeitig aber sind durch die Abschaffung der
Meisterpflicht viele neue, kleine Betriebe
entstanden. henrike roßbach

Mehrere EU-Staaten sorgen


sich um Klimaschutz


und um ihre Bauern


DEFGH Nr. 218, Freitag, 20. September 2019 (^) WIRTSCHAFT 19
Goldenes
Handwerk
Kabinett soll Meisterpflicht schon
Anfang Oktober beschließen
Die Brandrodungen im Amazonas-Regenwald haben die Handelspartner verärgert. FOTO: MAYKE TOSCANO/AFP
Ab 299 €/Monat



  • Ohne Anzahlung
    Die EDITION 19 Sondermodelle in sportlichem
    Design zu attraktiven Konditionen – z. B. als A-Klasse.
    Jetzt bei Ihrem Mercedes-Benz Partner.
    Mehr Informationen: mercedes-benz.de/edition
    Jetzt ein Mercedes.
    ¹Kra#stoffverbrauch A 18 0 innerorts/außerorts/kombiniert (l/10 0 km): 7,5–7,2/4,5–4,3/5,6–5,4; CO2-Emissionen kombiniert (g/km): 129 –123.
    Die angegebenen Werte wurden nach dem vorgeschriebenen Messverfahren ermittelt. Es handelt sich um die „NEFZ-CO2-Werte“ i. S. v. Art. 2 Nr. 1 Durchführungsverordnung (EU) 2017/1153. Die Kraftstoffverbrauchswerte wurden auf Basis dieser Werte errechnet. Die Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes Fahrzeug und sind nicht Bestandteil
    des Angebots, sondern dienen allein Vergleichszwecken zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen. Die Werte variieren abhängig von den gewählten Sonderausstattungen. *Ein Leasingbeispiel der Mercedes-Benz Leasing GmbH, Siemensstr. 7, 70469 Stuttgart, für Privatkunden, für einen A 180¹: Kaufpreis ab Werk 32.760,70 €, Leasing-Sonderzah lung
    0,00 €, Gesamtkreditbetrag 32.760,70 €, Gesamtbetrag 14.352,00 €, Laufzeit 48 Monate, Gesamtlaufleistung 40.000 km, Sollzins (gebunden, p. a.) −2,16 %, effektiver Jahreszins −2,13 %, 48 mtl. Leasingraten à 299,00 €. Stand 01 .07. 2019. Ist der Darlehens-/Leasingnehmer Verbraucher, besteht nach Vertragsschluss ein gesetzliches Widerrufsrecht
    nach § 495 BGB. Unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers, zzgl. lokaler Überführungskosten. Anbieter: Daimler AG, Mercedesstraße 12 0, 703 72 Stuttgart.

Free download pdf