Süddeutsche Zeitung - 20.09.2019

(Barré) #1
interview: christoph gurk
und leahampel

E


r stand schon knietief in Blut und
Schlamm. Vielleicht wirkt Kilian
Kleinschmidt im Nürnberger Café
deshalb etwas deplatziert in seinen beigen
Klamotten. Überm Reden kommt er kaum
dazu, sein Wasser zu trinken. Wenig ver-
wunderlich – der Weg vom Berliner Lehrer-
sohn zu einem der bekanntesten deut-
schen Entwicklungshelfer war aufregend.


SZ: Herr Kleinschmidt, reden wir über
Geld. Sie haben als Entwicklungshelfer
Leid auf der ganzen Welt gesehen, Massa-
ker, Hungersnöte und Vertreibung. Gibt
es einen Lohn, der dafür entschädigt?
Kilian Kleinschmidt: Nein. Ich habe die Tie-
fen der Welt am eigenen Leibe gespürt. In
Uganda bin ich 1991 fast ermordet worden.
In Mogadischu stand ich vor den Resten ei-
nes Menschen, der sich in die Luft ge-
sprengt hat. Man lernt daraus. Aber einen
angemessenen Lohn bekommt man nicht.
20 Jahre waren Sie bei den Vereinten Nati-
onen. Verhandelt man da über Gehalt?
Nein, man ist Beamter. Das sind feste Sätze
nach bestimmten Koeffizienten, mal ver-
dient man mehr, mal weniger.
Gibt es Risikozuschlag für Mogadischu?
Etwa 31 Dollar mehr am Tag. Es gibt Koeffi-
zienten für Wohnkosten, Schulkosten, be-
stimmte Sätze, wenn man von der Familie
getrennt ist. Eine komplizierte Kopf-
rechnung und Beamtentum pur.
In Ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen ver-
dient ein Bürgermeister einer Stadt mit
mehr als hunderttausend Einwohnern
10200 Euro im Monat. Sie wurden alsBür-
germeister des Flüchtlingslagers Zaatari
mit ähnlich vielen Bewohnern bezeichnet.
Gab es mehr oder weniger Geld?
Wahrscheinlich weniger.
Obwohl der Job schwieriger war.
Das würde ich nicht unbedingt sagen. Aber
sicher nicht einer der einfachsten Jobs.


Ihr Vater war Uni-Professor, Ihre Mutter
Lehrerin. Wie kamen Sie in die Entwick-
lungshilfe?
Ich bin im wilden Berlin groß geworden.
Macht kaputt, was euch kaputtmacht,
Punk, Hausbesetzungen. Es war klar: Ich
will kein Mainstream sein. Ich habe nach
der Schule ein Jahr Auszeit genommen,
wollte nach Südamerika, aber zwei Freun-
de waren in den Pyrenäen gelandet. Die ha-
be ich besucht, dann kam eine Frau dazwi-
schen, ich bin geblieben.
Klingt romantisch.
War es auch, aber anstrengend. Am An-
fang haben wir Ziegenkäse gemacht, das
heißt: Um fünf Uhr aufstehen und die blö-
den Viecher melken. Die Ziegen wurden
von Hunden gerissen, der Job war weg.
Dann habe ich als Dachdecker gearbeitet,
ohne Ausbildung und trotz Höhenangst.
Was außer der Frau hielt Sie?
Wir wollten die Region wiederbeleben, das
Durchschnittsalter lag bei über 60. Wir ha-
ben Arbeitsplätze geschaffen, andere Ko-
operativen unterstützt, es gab Einheits-
lohn. Im Grunde ein Entwicklungsprojekt.
Als die Beziehung in die Brüche ging,
brauchte ich etwas Neues. Ich bin mit ei-
nem Motorrad die Strecke Paris–Dakar ge-
fahren und in Mali in einer Kneipe auf ein
französisches Pärchen gestoßen, zwei – in
Anführungszeichen – Entwicklungshelfer.
Was meinen Sie damit?
Sie baute eine Schule, konnte aber nicht
bauen. Er hat ein Kamelfutterprogramm
gemacht, aber keine Ahnung von Tieren.
Ich fand komisch, dass man nur, weil man
Weißsein als Qualifikation hat, losgelassen
wird auf Dörfler in Nordmali. Ich habe den-
noch geholfen, die Schule zu bauen.
Das war der Startschuss Ihrer Karriere?
Ich bin noch zurück nach Frankreich, fand
es aber nicht mehr aufregend, und habe
meine Anteile an der Kooperative ver-
kauft. 1988 habe ich mich bei NGOs als Ent-
wicklungshelfer beworben. Das war aufre-
gend und frisch. Man will ja die Welt ver-
bessern und so.


Sie waren in Uganda, sind zu den UN ge-
wechselt, waren im Südsudan. Was hat Sie
daran begeistert?
Im Südsudan habe ich die Lebensmittelhil-
fe koordiniert, mitten im Krieg. Ich habe
mein erstes Massaker miterlebt und mona-
telang in der Mitte verrottender Leichen ge-
lebt. Das war hart. Aber ich war im Adrena-
linrausch, auch später in Mogadischu.
Ist das noch Arbeit?
Das war nur noch ein Zustand. Danach ha-
be ich angefangen umzudenken. Ich habe
mich gefragt, ob es richtig ist. 2012 war ich
noch mal in Mogadischu, habe institutio-
nelle Unfähigkeit und Korruption gesehen.


Da war ein leeres Lager, von dem die Leute
behaupteten, es hätte 20 000 Bewohner,
schließlich flossen nur so Gelder. Ich be-
kam Zweifel am humanitären System.
Dann kam der Einsatz in Zaatari. Ich wuss-
te vorher nur, dass es jeden Tag Demos
und Ärger gab. Mir wurde gesagt, nur ich
könne das Problem lösen. Ein Trick, um
mich zu ködern.

Hat funktioniert. Wie war die Situation,
als Sie ankamen?
Sehr schlecht. Es wurden ständig Hilfsmit-
arbeiter verprügelt, mit Steinen beschmis-
sen, beschimpft. Niemand wusste, warum
es so viel Gewalt gab. Im Grunde waren alle
humanitären Bedingungen erfüllt.
Was meinen Sie damit?
Die Checkliste, was man liefern muss, war
vollständig. 2100 Kilokalorien pro Tag und
Kopf, 18 Liter Wasser, Zelte: war alles da.
Es gab trotzdem Ärger, jeden Tag.
Was war das Problem?
Mafiöse Machtstrukturen im Lager. Und
ein falsches Verständnis von „Was braucht
der Mensch auf der Flucht“.
Was braucht er?
Privatsphäre, um die Identität wiederzufin-
den, die Würde. Das geht nicht, indem ich
auf eine Gemeinschaftstoilette gehe, die
ich auch gemeinschaftlich putzen muss.
Was haben Sie getan?
Als Hilfsorganisation waren wir von mor-
gens um acht bis nachmittags um fünf da.
Der Tag hat aber 24 Stunden. Also bin ich

geblieben, über Nacht. Am Abend war alles
ruhig, keine Gewalt mehr. Ich konnte her-
umlaufen, die Leute haben mich zum Kaf-
fee eingeladen. Ich habe sie kennenge-
lernt, sie mich. Nach einem Jahr war
Schluss, zu den Demonstrationen ist kei-
ner gegangen, selbst wenn Mafiachefs das
befohlen haben – wir haben angefangen,
gemeinsam an einer Vision zu arbeiten.
Sie haben beschlossen, die Menschen wirt-
schaftlich einzubinden. Zum Beispiel wur-
de die Stromversorgung privatisiert.
Das hatten die Flüchtlinge von sich aus ge-
tan. An die von uns eingerichteten Straßen-
lampen wurden Tausende Drähte ange-
schlossen und so viel Strom geklaut, dass
die Transformatoren in der Nacht rot glüh-
ten und explodiert sind. Es gab jeden Mo-
nat eine Stromrechnung von 800 000 Dol-
lar. Bei 100000 Menschen sind acht Dollar
pro Kopf nicht viel, wenn man dafür Wirt-
schaftlichkeit und Sicherheit und soziales
Leben bekommt. Das hat das UNHCR aber
nie verstanden, die haben gesagt: Strom ab-
stellen. Ich habe gesagt: Nein, man muss
das managen. Also haben wir angefangen,
den Strom gemeinsam zu klauen und die
Versorgung zu strukturieren.
Wie sah das konkret aus?
Es gab 250 Elektriker im Lager, die hatten
die Stromanschlüsse verkauft, für 15 Dol-
lar. Wir haben angefangen festzulegen,
wie viel Strom man von welchem Transfor-
mator klauen darf. Wir wollten sogar eine
eigene Stromversorgung aufbauen, aber
die humanitäre Logik kann so etwas nicht.
Es gab sogar eine Geschäftsstraße, die
Champs-Élysées genannt wurde.
Das war auch etwas, was die Flüchtlinge ge-
macht hatten. Die Jordanier vor Ort haben
gesehen, dass auf einmal 100000 Konsu-
menten in ihrer Nähe leben. Sie haben sich

zusammengetan mit den syrischen Ge-
schäftsleuten. So etwas passiert in allen
Flüchtlingslagern, aber in Zaatari war die
Einkaufsstraße enorm groß, mit einem ge-
schätzten Umsatz von 13 Millionen Euro je-
den Monat. Wenn wir eine Straße geteert
hatten, haben selbsternannte Makler
Claims abgesteckt und die Parzellen teuer
verkauft. Am Ende gab es 3000 Geschäfte.
Wir haben das positiv gesehen. Es hat uns
gezeigt, was für ein Wahnsinn die auf Wohl-
tätigkeit basierende Flüchtlingshilfe ist.
Inwiefern?
Wir haben Hilfsmittel verteilt, die haben
die Flüchtlinge sofort weiterverkauft, um
Bargeld zu bekommen und sich zu kaufen,
was sie wirklich haben wollten. Die Zwi-
schenhändler haben viel verdient, indem
sie sich mit Schubkarren vor Verteilungs-
zentren gestellt haben und den Menschen
Sachen abgekauft haben, die sie von uns
bekommen hatten.
Was war das Problem?
Zum Beispiel diese 2100 Kilokalorien, die
jeder Flüchtling bekommt. Dafür gibt es
ein Grundpaket, mit Mehl, Hummus, Reis,
Nudeln und so. Alle 14 Tage das Gleiche, fri-
sches Gemüse oder Obst aber fast nie. Die
Menschen wollten aber mal was anderes es-
sen. Und weil sie nicht in den Gemein-
schaftsküchen kochen wollten, haben sie
private Küchen eingerichtet und Gebäude
auseinandergenommen.
Es verschwanden Gebäude im Lager?
Ja, insgesamt so 90 Stück. Einmal kam ei-
ne Wachmannschaft nicht, da haben die
Kinder sogar eine Polizeistation auseinan-
dergenommen. Die Türe haben wir irgend-
wann in ein Haus eingebaut gefunden. Das
war die Privatisierung der Baumaterialien.
Warum haben Sie das zugelassen?
Menschen werden immer Wege finden,

Handel zu treiben. Sie können sich am bes-
ten selbst versorgen. Deswegen haben wir
von der Lebensmittelverteilung gewech-
selt zu Smartcards, vom Almosenempfän-
ger zum Happy Shopper. Den Gesichtsaus-
druck zu sehen von Menschen, die auf ein-
mal einen Einkaufswagen durch einen
Supermarkt schieben, anstatt in einer
Schlange in der Sonne auf Hilfsgüter zu
warten, ist ein fundamentaler Unterschied.
Weil sie entscheiden können: Kaufe ich heu-
te diese Spaghetti, weil sie nur drei Minu-
ten kochen? Oder die anderen? Menschlich-
keit fängt bei ganz kleinen Dingen an.

Je mehr Menschen ihren Bedürfnissen
nachgehen können, desto besser für alle.
Die reine Lehre vom Homo oeconomicus.
Ja, der Homo oeconomicus ist unser aller
Ursprung. Jede Stadt ist aus Flucht entstan-
den. Das schönste Flüchtlingslager der
Welt ist Venedig, daraus ist eine blühende
Wirtschaftsmacht geworden.
Wieso sind solche Überlegungen in der hu-
manitären Hilfe nicht angekommen?
Weil sie nicht weggekommen ist von den
Carepaketen des Zweiten Weltkriegs. Da
heißt es immer: Wir haben Opfer, die müs-
sen versorgt werden. Daraus hat sich eine
Spendenmentalität entwickelt. Die Spen-
der wollen wissen: Wird von meinen fünf
Euro ein Regenschirm gekauft oder
Schnuller? Wenn ich sage: Das Geld
kommt auf eine Smartcard, findet das kei-
ner spannend.
Die Helfer blockieren die effektive Hilfe?
Das ist keine Kritik an den Organisationen,
sondern am System. Die Organisationen
stehen in ständigem Wettbewerb miteinan-
der. Das ist alles 20. Jahrhundert.

Was wäre 21. Jahrhundert?
Die Welt ist vernetzt, ich kann in jedes
Land auf der Erde Geld überweisen, Moni-
toring machen. Vielleicht steht gerade ein
Kamelhirte im Sudan in einer Wüste und
zeigt auf seinem Handy seinem Zahnarzt
die Stelle im Mund, die wehtut. Muss ich
da bohren? Ich brauche keine Weißen En-
gel mehr, die durch die Welt fliegen und Ar-
men helfen. Schon jetzt sind viele Flüchtlin-
ge besser vernetzt als wir. Wieso gab es
Geld in Zaatari? Weil manche noch Läden
hatten in Damaskus. Oder ein Familienva-
ter im Golf gearbeitet und Geld zur Frau ge-
schickt hat. Diese Menschen sind agiler als
wir. Das zu nutzen und so Ressourcen zu-
gänglich zu machen, ist moderne Hilfe.
Jetzt haben Sie ein Start-up. Wieso kön-
nen Sie mit dem mehr erreichen?
Kann ich noch nicht. Ich bin auf der Schnitt-
stelle zwischen Geldern, die von Regierun-
gen kommen, an die komme ich nicht ran,
weil ich zu klein bin, und von großen Orga-
nisationen. Deutschland finanziert gerne
über die großen Organisationen wie die
Welthungerhilfe oder die Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit. Da muss
man sich als kleines Sozialunternehmen ei-
nen starken Partner suchen. Das ist das ei-
ne. Das andere sind die Philanthropen, die
Milliardäre. Die wollen weiter spenden
und ihre Charity Dinner machen. Im Grun-
de bin ich zu sehr meiner Zeit voraus. Wür-
de ich irgendeine dumme App entwickeln,
würde man mir Geld hinterherschmeißen.
Aber dass ich ein komplexes Vernetzungs-
system entwickle, ist vielen unheimlich.

Wenn es für Ihre Arbeit zu wenig Geld
gibt, dann gibt es ja auch für Sie zu wenig
Geld. Wie sieht es auf Ihrem Konto aus?
Katastrophal. Wirklich katastrophal. Und
das, obwohl ich jetzt erfolgreich in Tunesi-
en Ausbildungsprogramme für junge Liby-
er und Tunesier umsetze und Berufe der
Zukunft nach Nordafrika bringe, wie urba-
ne Landwirtschaft oder Coding.
Wäre es lukrativer gewesen, bei den Ver-
einten Nationen zu bleiben?
Ja, natürlich. Sicherer und besser für mei-
ne Nerven. Ich bin kein guter Geschäfts-
mann und habe mich viel reinlegen lassen.
Bekommen Sie Geld für Ihre Vorträge?
Eigentlich nicht. Ich bin zu sehr Robin
Hood. Wenn ich in Sofia oder im Burgen-
land mit Aktivisten rede, bekomme ich
200 Euro oder eine Kiste Wein. Mir ist es
wichtiger, dass Menschen anfangen zu den-
ken, als viel Geld zu haben. Aber irgend-
wann kann ich auch nicht mehr.
Sie haben noch Ihr Haus in den Pyrenäen.
Das verpfände ich gerade.
Zahlen Sie Unterhalt für Ihre fünf Kinder?
Die meisten sind schon groß, meine Ex-
Frauen sind viel teurer.

„Wir haben Hilfsmittel verteilt,
die habendie Flüchtlinge
sofort weiterverkauft.“

„Ich bin kein guter
Geschäftsmannund habe mich
viel reinlegen lassen.“

München– Die Organisation OECD sieht
die globale Konjunktur zunehmend düs-
ter. Dieses und nächstes Jahr wächst die
Weltwirtschaft nur noch um 2,9 respektive
drei Prozent, sagt die Denkfabrik der In-
dustriestaaten voraus. Das wäre der ge-
ringste Wert seit dem Epochenbruch der Fi-
nanzkrise vor zehn Jahren. 2018 war die
Weltwirtschaft noch um 3,6 Prozent ge-
wachsen. In Deutschland zeichnet sich ein
Einschnitt ab: Es gelingt nicht mehr, die
Zahl der Arbeitslosen zu senken.
Die OECD hat ihre Prognosen für die
nächsten Jahre gegenüber Mai deutlich
nach unten korrigiert. Wer für den globa-
len Abschwung verantwortlich ist, daran
lassen die Pariser Ökonomen keinen Zwei-
fel: „Handelskonflikte sind der zentrale
Faktor, der Vertrauen und Wachstum in
der Weltwirtschaft untergräbt“. US-Präsi-
dent Donald Trump, den die Organisation
nicht namentlich erwähnt, belegt seit An-
fang 2018 zahlreiche Staaten mit Strafzöl-
len. Allein Trumps Zölle gegen China und


die Pekinger Gegenmaßnahmen schwäch-
ten die Weltwirtschaft 2020 um 0,3 bis 0,4
Prozentpunkte, so die OECD. „Die Unsi-
cherheit durch die Handelskonflikte dau-
ert lange an“, beklagt Chefökonomin
Laurence Boone, „sie setzt unsere wirt-
schaftliche Zukunft aufs Spiel“.

Ein Ende des Konflikts ist nicht abseh-
bar. Im Oktober treffen sich die USA und
China zu neuen Gesprächen. Als weitere Ri-
siken sieht Boone die Unklarheit über die
Art des britischen EU-Austritts, die länger-
fristige Abschwächung des chinesischen
Wachstums und Finanzmarktturbulenzen
etwa wegen hoher Schulden und wackliger
Kredite.
Glaubt man den Pariser Volkswirten,
trifft Trumps Handelsstreit zunehmend

die eigene Volkswirtschaft. Die USA wach-
sen demnach dieses Jahr nur noch um 2,4
Prozent. 2020, da Trump wiedergewählt
werden möchte, dürften es nur zwei Pro-
zent sein – klar unter seinem selbst ge-
steckten Ziel von drei Prozent. Die Progno-
se für Deutschland reduziert die Organisa-
tion für 2019 von 0,7 auf 0,5 Prozent; für
nächstes Jahr halbiert sie sie sogar von 1,2
auf 0,6 Prozent. Die exportabhängige Bun-
desrepublik trifft es besonders stark, dass
globaler weniger Investitionsgüter ge-
kauft werden.
Chefökonomin Boone hat eine klare Mei-
nung dazu, was die Politik tun sollte. „Das
globale Wachstum droht dauerhaft
schwach zu bleiben, wenn die Regierungen
nicht entschieden reagieren“. Die Politik
sollte die niedrigen Zinsen nutzen, um in
die Infrastruktur zu investieren. Wie in der
Vergangenheit meint die OECD damit auch
die Bundesregierung, der seit längerem zu
geringe Investitionen vorgeworfen wer-
den. EZB-Präsident Mario Draghi fordert

ebenfalls mehr Investitionen von den Län-
dern Europas, die dazu in der Lage seien.
Unterdessen mehren sich Anzeichen,
dass das deutsche Jobwunder an seine
Grenzen gelangt. Das Institut für Arbeits-
markt- und Berufsforschung (IAB) sagt vor-
aus, dass die Zahl der Arbeitslosen 2019
noch um 70 000 sinkt, nächstes Jahr aber
nicht mehr. Sie stagniere dann bei 2,3 Milli-
onen Menschen. Zuvor gelang es jahre-
lang, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Sie hat sich seit Mitte der Nullerjahre mehr
als halbiert. Für die nächsten Monate er-
wartet IAB-Prognosechef Enzo Weber kon-
junkturbedingt sogar mehr Arbeitslose.
Trotz Konjunkturschwäche steige die Zahl
der Erwerbstätigen 2019/2020 um eine hal-
be Million. Mittelfristig sinke die Arbeitslo-
sigkeit wegen zunehmender Knappheit an
Arbeitskräften weiter. Für 2020 ist Weber
schon wieder optimistisch: Er sieht die
deutsche Wirtschaft um 1,1 Prozent wach-
sen, fast drei Mal so stark wie dieses Jahr.
alexander hagelüken

München– Gutzwei Jahre nach der Pleite
von Air Berlin hat die einst zweitgrößte
deutsche Fluggesellschaft den umstritte-
nen Staatskredit doch noch zurückgezahlt.
„Wir haben die letzte Rate vor zwei Tagen
getilgt“, sagte Insolvenzverwalter Lucas
Flöther. Air Berlin hatte über die Staats-
bank KfW 150 Millionen Euro bekommen,
um die sofortige Einstellung des Flugbe-
triebs zu verhindern. Die Zinsen für das
Darlehen stehen allerdings noch aus. „Wir
werden in naher Zukunft auch hier mit der
Rückzahlung beginnen können“, sagte Flöt-
her. Bei einem Zinssatz von neun Prozent,
den die KfW nach früheren Angaben ver-
langt hatte, sind bereits mehr als 27 Millio-
nen Euro aufgelaufen. Der Plan, das Geld
aus dem Verkauf der österreichischen
Tochter Niki an die Lufthansa zurückzu-
zahlen, war am Widerstand der Brüsseler
Kartellwächter gescheitert. Als Massedar-
lehen muss der KfW-Kredit aus der Insol-
venzmasse vorrangig zurückgezahlt wer-
den, vor allen anderen Forderungen. Die
Passagiere, die ihre Flüge vor der Insol-
venz im August 2017 bereits bezahlt hat-
ten, aber nicht mehr antreten konnten,
und die meisten anderen Gläubiger gehen
nach heutigem Stand leer aus. reuters

6 aus 49(18. September)
Lottozahlen:18 - 24 - 34 - 44 - 46 - 48
Superzahl: 8


  1. Rang (6 Treffer und Superzahl) 5 380 613,00 Eu-
    ro, 2. Rang (6 Treffer) 263 103,60 Euro, 3. Rang (5
    Treffer mit Superzahl) 7589,50 Euro, 4. Rang (5 Tref-
    fer) 2916,10 Euro, 5. Rang (4 Treffer mit Superzahl)
    157,10 Euro, 6. Rang (4 Treffer) 39,00 Euro, 7. Rang
    (3 Treffer mit Superzahl) 19,30 Euro, 8. Rang (3 Tref-
    fer) 10,50 Euro, 9.Rang (2 Treffer mit Superzahl)
    5,00 Euro.
    Spiel 77: 5272656
    Gewinnklasse 1 (Super 7): unbesetzt, im Jackpot
    3 928 374,50 Euro, Gewinnklasse 2: 77 777,00 Euro,
    Gewinnklasse 3: 7777,00 Euro, Gewinnklasse 4:
    777,00 Euro, Gewinnklasse 5: 77,00 Euro, Gewinn-
    klasse 6: 17,00 Euro, Gewinnklasse 7: 5,00 Euro.
    Super 6:6 4 1 1 0 5 (Ohne Gewähr)


Schwächstes Wachstum seit der Finanzkrise


Die OECD fordert die Regierungen auf, mehr zu investieren. In Deutschland geht die Arbeitslosigkeit nicht mehr zurück


Man kann sich leicht lustig
machen über den ganzen tech-
nischen Schnicksack, mit
dem sich die Japanerinnen
und Japaner ihren Alltag zu-
stellen. Über Klobrillenheizungen, Hand-
ventilatoren, Roboterhunde. Aber der Ba-
dehosentrockner im Tatsumi-Bad ist wirk-
lich praktisch, das kann man gar nicht an-
ders sagen. Das Tatsumi-Bad im Süden To-
kios ist ohnehin fabelhaft: ein Tempel des
reinen Schwimmsports mit olympischem
50-Meter-Becken. Keine Spaßrutsche und
keine Massagedüsenlandschaft lenkt hier
von der Bestimmung des Schwimmers ab,
nämlich sich mit Geduld und Ausdauer
Bahn um Bahn immer wieder rauf und run-
ter durch das Element Wasser zu bewegen.
Außerdem ist das Tatsumi-Bad eine
Bühne des japanischen Alltags, den ein
komplexes System aus Fortschritt und un-
abänderlichen Regeln prägt. Das bedeutet,
als Zugereister wundert man sich hier über
Dinge, über die sich die Einheimischen
noch nie gewundert haben, und macht erst
mal ziemlich viel falsch. Jene Freiheitsrech-
te zum Beispiel, die sich in den Schwimm-
bädern des Westens mit der Zeit durchge-
setzt haben, haben nie den Weg über die
Weltmeere in den Inselstaat Japan gefun-
den. Hier gelten noch Badekappenpflicht
und Armbanduhrverbot. Beides über-
wacht ein Team aus pflichtbewussten Ba-
demeisterinnen und Bademeistern mit un-
geteilter Aufmerksamkeit. Wer keine Bade-
kappe aufhat, muss raus und sich eine lei-
hen. Wer eine Armbanduhr trägt, muss
raus und sie ablegen. Auf Bahn eins darf
man vom Startblock springen, aber nie-
mals auf den Startblock zu schwimmen.
Wer es doch tut, den wirft der diensthaben-
de Bademeister durchaus auch mal mit sei-
nem Rettungsknüppel aus Styropor ab.
Und alle zwei Stunden müssen alle raus
aus dem Becken. Alle. Ausnahmslos. Und
alle Japanerinnen und Japaner wissen es.
Alle wissen auch warum. Das ist die zehn-
minütige Sicherheitspause, damit sich kei-
ner im Wasser verausgabt. Eine Vorsichts-
maßnahme. Nur das blonde Walross mit
der kantigen Kraultechnik weiß natürlich
nichts. Pflügt unverdrossen weiter durch
die gechlorten Fluten. Denkt sich nichts da-
bei. Bis es von einem Japaner höflich ange-
tippt wird.
Sinnfragen bringen hier wenig. Nie-
mand in Japan verlangt vom Fremden,
dass er Japan versteht. Aber niemand in Ja-
pan versteht auch so richtig, was es an Ja-
pan nicht zu verstehen geben könnte. Also
fügt man sich. Schlüpft in die viel zu klei-
nen Pflichtschlappen vor der Toilette und
versucht den Eindruck zu vermeiden, als
hätte man alles lieber ganz anders oder
wüsste, wie es richtig laufen sollte.
Und dann ist da eben in der Umkleide die-
ser Badehosentrockner, ein Gerät von an-
mutiger Schlichtheit, eine schmale Trom-
mel mit einem Knopf. Man steckt die Bade-
hose nach dem Schwimmen hinein,
schließt die Klappe und hält den Knopf ge-
drückt. Das Gerät rumpelt leise, weil es of-
fensichtlich die Hose schleudert. Nach zehn
Sekunden lässt man den Knopf los und hat
eine Badehose, die zumindest nicht mehr
klatschnass ist. Sagenhaft. Seltsam. Japan
ist für Zugereiste eine sehr komfortable
Herausforderung. thomas hahn

Air Berlin tilgt


Staatskredit


„Menschlichkeit fängt


bei ganz kleinen Dingen an“


Kilian Kleinschmidt hat eines der größten Flüchtlingslager geleitet, zweifelt aber an der
Entwicklungshilfe. Ein Gespräch über sinnlose Spenden und die Menschenwürde

Donald Trump
schadet der
US-Volkswirtschaft

Mittwoch-Lotto


26 HF2 (^) WIRTSCHAFT Freitag,20. September 2019, Nr. 218 DEFGH
Internationale Handelskonflikte belas-
ten das Vertrauen in die Weltwirtschaft
und das Wachstum. FOTO: PENG ZHAOZHI/DPA
FOTO: STEPHAN RUMPF
BEI UNS IN TOKIO
Mit Badekappe, aber
ohne Armbanduhr
REDEN WIR ÜBER GELDMIT KILIAN KLEINSCHMIDT

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