Süddeutsche Zeitung - 20.09.2019

(Barré) #1

Der


Schlüssel


zur


kühlen


Mass


Werim Hofbräuhaus
Stammgast ist, kann
seinen Krug in einem der
616 Tresore verwahren –
für drei Euro pro Jahr

von thomas becker

A


m Freitag vor der Wiesn ist im Hof-
bräuhaus so viel los wie an keinem
anderen Tag: 3500 Durstige. Die
Stadt brummt vorfreudig, alle Gäste sind
schon da, und solange noch nicht ozapft is,
geht man eben ins Hofbräuhaus. Wer das
zum ersten Mal tut, wird Augen machen,
nicht nur wegen der tausend Menschen in
der Schwemme, wegen der maximal zünfti-
gen Musikanten, der Spanferkel-Berge,
nein, er wird über ein Prozedere staunen:
Männer, die ein schmiedeeisernes Fach
aufsperren, einen Tonkrug rausnehmen,
an der Messingspüle im Eck auswaschen
und sich mit offenem Bierdeckel an den
Tisch setzen – bis der Kellner die nonverba-
le Bestellung aufnimmt und mit randvol-
lem Krug zurückkommt. Willkommen in
der Welt der Masskrugtresore!
Ein Tresor für Bierkrüge? Wer kommt
denn auf so was? Erklären kann das Wolf-
gang Sperger, der Wirt. Der 50-Jährige ist
im Hofbräuhaus aufgewachsen, hinter ei-
nem der Fenster an der Nordseite war sein
Kinderzimmer. Als er elf war, hatte sein Va-
ter die Pacht übernommen, 1980. Die Tre-
sore hatte Vorgänger Hans Glanegger ein-
geführt: „Als Olympia kam, gab es einen Er-
lass der Stadt, dass man keine Steinkrüge


mehr wollte – weil man nicht sieht, wie viel
drin ist. Die Stammgäste sagten: Für die
Touristen könnt ihr gern Glaskrüge neh-
men, aber wir behalten unsere Keferlo-
her!“, erzählt Sperger. Dabei ging es weni-
ger um Ästhetik als ums Bier: „Durch die
Grobporigkeit und die Salzglasierung hält
die Kohlensäure länger. Der Ton isoliert
das Bier länger, es bleibt kälter und fri-
scher.“ Und das wegen der paar Touristen
aufgeben? Ja wirklich nicht.

Am 27. September vor 430 Jahren wur-
de das Hofbräuhaus eröffnet, am 22. Sep-
tember 1897 feierte man den Umbau in der
neuen Form. Aus ein paar Touristen sind
gewaltige Ströme geworden, dennoch kom-
me der Großteil der Gäste aus Stadt und
Oberland, sagt Sperger. 3500 Stammgäste,
123 Stammtische – und 616 Besitzer eines
Masskrugtresores. Genau genommen 615.
Der Krug in Nummer 124 wird nur zum Ab-
stauben entnommen.
Sein Besitzer Ludwig Aidelsburger ist
seit sieben Jahren tot, aber Ehrenstamm-
gast: Seit 1949 kam er regelmäßig, gehörte

zu den Elektrikern, die die Oper wieder auf-
bauten. „Die kamen immer zum Mittages-
sen“, erzählt Sperger, „daraus ist ein
Stammtisch entstanden.“ Nur mit der
Stammtisch-Fahne gab’s Probleme: Das
Symbol für Strom sah zu sehr nach SS aus:
ging nicht. Da die Truppe recht bunt war, ei-
nigte man sich auf „Wuide Rundn“. „Zwei
von 20 Mitgliedern haben sie deshalb verlo-
ren“, sagt Sperger, „denen gefiel der Name
nicht: I bin ned wuid!“ Doch was es nicht al-
les für Stammtische gibt: Donnerstags die
U-Boot-Fahrer, dann die „Captain's Cor-
ner“ von der Lufthansa, „De Zammagwia-
fedn“ oder „Höchste Eisenbahn“. Auf ei-
nem Stammtisch-Schild sind Verstorbene
mit eingraviertem Kreuz versehen.
Der Weg zum Tresor führt über den
Stammtisch, erklärt Sperger: „Ein Stamm-
tisch gründet sich meist aus einer Berufs-
gruppe: Feuerwehr, Polizei, Stadtgärtner,
Trambahnfahrer. Die Stammtischler
schauen erst mal, ob einer dazu passt und
nach einer Zeit kann es sein, dass sie ihn
aufnehmen.“ Und es gibt die Stammgäste
ohne Stammtisch: Man kenne sich irgend-
wann, rede mit den Leuten: Was machst du
eigentlich? „Irgendwann sag’ ich dann:
Geh halt nauf und füll’ deinen Antrag aus“,
erklärt Sperger. Dann gibt’s eine Stamm-
gastkarte, mit Bierzeichen und Vergünsti-

gungen: Man zahlt zehn Mass, kriegt elf.
Und wenn man eine Weile dabei sei – so
zwischen einem und fünf Jahren, also eher
fünf –, „dann stellt man sich bei mir oder
beim Ebner für ein Masskrugfach an.
Wenn eins frei wird, vergeben wir das“.
Herbert Ebner ist Stammtisch-Koordi-
nator und Verwalter der Masskrugfächer,
einer von 300 Angestellten. Er kontrolliert
auch den Eingang der drei Euro Tresormie-
te pro Jahr. „Wahrscheinlich könnten wir
auch 3000 verlangen“, scherzt Sperger, der
überhaupt mit einem sonnigen Gemüt ver-
sehen ist. Wer bis 31. März nicht zahlt, be-
kommt einen Anruf. „Wir schauen auch
nach, ob die Krüge benutzt werden, ob eine
Staubschicht drauf ist“, so Sperger, „das ist
für uns wichtig. Da rufen wir schon mal an
und fragen: Geht’s dir gut?“ Könnte ja sein,
dass einer krank ist oder sich über irgend-
was geärgert hat. So geht Kundenbindung.

Stammgäste aufbauen sei schwierig,
meint der Wirt. „Wir haben mal die Tische
sauber gemacht, frühmorgens alles raus in
den Biergarten, mit Dampfstrahler drüber
und wieder zurück.“ Kurz darauf habe ei-
ner gerufen: „Du, wo is’n mei Tisch?“ Da ha-
be er erst kapiert: Mein Tisch – das ist der
Anspruch. Der Tisch des Stammgasts
stand nicht am alten Platz. „Wir haben
dann zusammen seinen Tisch gesucht.“
Und dann ist da noch Kurti, der Stamm-
tischreparateur: „Zu dem kommen alle,
wenn was kaputt ist“, sagt Sperger, „der
kann löten, den Deckel fester machen,
wenn er runterhängt. Für eine Brotzeit.“
Der Wirt schwärmt vom Zusammenhalt
der Runden: „Stammtisch hat so einen Ne-
gativ-Touch, so was Volkstümelndes. Aber
wenn man sich über einen längeren Zeit-
raum immer wieder trifft und darüber re-
det, was so passiert im Leben, da wächst
man zusammen. Und alle nehmen sich
gleichzeitig frei!“
Sein liebstes Fest ist Kirchweih: „Da la-
den wir alle Stammgäste ein, zahlen Essen
und Bier.“ Man könne echt froh sein, wenn
man so eine tolle Gemeinschaft zusam-
menbringe, sagt Sperger. „Wir sind sozusa-
gen das analoge, das richtige Facebook.“
Das sei doch viel schöner, wenn man die
Menschen erlebe. „Was mir die Leute alles
schon erzählt haben, was sie im Hofbräu-
haus erlebt haben!“
Dass die Idee mit dem speziellen Service
für Stammgäste sogar im fernen Dubai
funktioniert, hat ihn dann auch gewun-
dert. Dort gibt es ein Hofbräuhaus im Mar-
riott Hotel – mit einem Arsenal voll beleg-
ter Masskrugtresore.

Als Olympia kam, gab es einen
Erlassder Stadt, dass man
keine Steinkrüge mehr wollte

Wenn was kaputt geht,
dann lötet es der
Kurti wieder zusammen

Wirt Wolfgang Sperger
(unten) hat mehr als 600
Tresorplätze zu vergeben,
in denen Stammgäste wie
Günther Berger (rechts)
ihren Steinkrug lagern
können. Vor dem
Gebrauch müssen sie
diesen allerdings selbst
an der Messingspüle
auswaschen.
FOTOS: FLORIAN PELJAK


DEFGH Nr. 218, Freitag, 20. September 2019 (^) MÜNCHEN PGS R5
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