Süddeutsche Zeitung - 20.09.2019

(Barré) #1

I


n der Ballsaison gilt es als größte Pein-
lichkeit: wenn beim ersten Defilee im
Saal alle Welt sieht, dass zwei Damen
in der exakt gleichen Robe auftreten,
obwohl doch beide glaubten, ihr Schnei-
der habe extra für sie ein besonders origi-
nelles Abendkleid entworfen. In der Wahl-
saison ist das weniger peinlich als unaus-
weichlich. Als die zwei Parteien der in
Zank zerfallenen österreichischen Regie-
rung ihre Wahlplakate präsentierten, war
bei ihren Gegnern die Schadenfreude
groß. Der jüngste Altkanzler aller Zeiten,
Sebastian Kurz, war auf seinem Plakat
nämlich als Wandersmann mit Rucksack
zu sehen, von dem es im balkengroßen
Schriftzug heißt: „Einer, der unsere Spra-
che spricht.“ Am selben Tag ging auch Her-
bert Kickl, der geschasste Innenminister
von der FPÖ, an die Öffentlichkeit, und
zwar mit einem Porträt, das mit den Wor-
ten unterlegt war: „Einer, der unsere Spra-
che spricht.“
Da es also darauf ankommt, dass alle
dasselbe sagen, einigten sich die politi-
schen Kommentatoren darauf, dass es
sich eben um den schmutzigsten Wahl-
kampf aller Zeiten handle, in dem sich die
Parteien nicht nur mit Verdächtigungen
und Unterstellungen bekämpfen, sondern
einander sogar ihre genialen Slogans steh-
len. Das Gerede vom schmutzigsten Wahl-
kampf ist ein starkes Indiz dafür, dass in
der digitalen Ära nach dem Langzeit- be-
reits das Kurzzeitgedächtnis Schaden ge-
nommen hat. Denn obwohl nichts ver-
schwinden kann, was je im Internet ver-
meldet wurde, zählen mittlerweile einzig
die üble Nachrede, der Skandal von heute.
Vergessen ist bereits der Wahlkampf von
2017, als die beiden späteren Koalitions-
parteien brachial darum wetteiferten,
jedes soziale, politische, ökonomische
Problem des Landes mit der Anwesenheit
von Flüchtlingen und Migranten zu erklä-
ren. Indem sie für jedwede soziale Frage
eine ethnische Antwort parat hatten, ha-
ben sie mit einer ungemein schmutzigen
Propaganda das Land verändert und die
politische Debatte folgenreich bis heute
simplifiziert.
Damals ging es aggressiv allerdings ge-
gen eine bestimmte Menschengruppe,
was offenbar nicht als verwerflich gilt. Der
ewige Bezug auf die Flüchtlinge reicht
zwei Jahre später jedoch nicht mehr aus,
um einen ganzen Wahlkampf erfolgreich
zu bestreiten. Vielleicht hätte man es da-
her mit der pointierten Debatte über die
grundsätzlichen Werte, auf denen die Re-
publik aufbauen sollte, und mit bestimm-
ten Sachfragen probieren können, von der
Klimakrise, der Integration der Zuwande-
rer und der Wohnungsnot bis zur Zukunft
von Arbeit und Bildung. Doch eine solche
Debatte scheint den Bürgern nicht mehr
zuzumuten zu sein. Also musste die über-


schüssige Energie, die letztes Mal gegen
die Migranten schlug, in einen gehässigen
Kampf der Parteien und ihrer Repräsen-
tanten gegeneinander umgeleitet werden,
und das empfinden nun wirklich alle als
schmutzig, nicht zu Unrecht übrigens.
Natürlich hat die Barbarisierung auch
damit zu tun, dass inzwischen alle Par-
teien auf das Internet setzen und ihre be-
zahlten Trolle und unbezahlten Hooligans
die eigene Sache verfechten, Nichtigkei-
ten verbreiten, Denunziation als Aufklä-
rung ausgeben lassen. Aber auch der öf-
fentlich-rechtliche ORF und die privaten
Fernsehsender haben, vermutlich um sich
gegen die reale Konkurrenz der virtuellen
Medien zu behaupten, auf einen verhäng-
nisvollen Dauermodus umgeschaltet:
Mehr als vierzig Konfrontationen, Duelle,
Gesprächsrunden der Spitzenkandidaten
haben sie angesetzt und neue Formate
erfunden – deren dümmlichem Show-
charakter sich seriöse Journalisten vor
Jahren noch verweigert hätten –, damit
jeden Abend Wahlkampf live übertragen
werden könne.

Die Wähler, die überzeugt werden sol-
len, und die Politiker, die sich überzeu-
gend zu präsentieren haben, sind von der
seriellen Konfrontation aber schlichtweg
überfordert, und beide sind für die Demo-
kratie nicht gut: erschöpfte Massen und
automatenhaft sich wiederholende Poli-
tiker. Medienwissenschaftler vermuten,
dass der flächendeckende Beschuss des
Wahlpublikums im internationalen Maß-
stab rekordverdächtig sei; ob solche medi-
ale Aufrüstung dazu beiträgt, dass die
Wähler sich rekordverdächtig gut zu infor-
mieren wissen, ist zu bezweifeln.
Das hat mit der Dramaturgie dieser Sen-
dungen zu tun, von denen als besonders in-
novativ jenes Speeddating angepriesen
wird, bei dem sich zwei Kandidaten gegen-
überstehen und in zwanzig Minuten ihr
unverwechselbares Programm vorstellen,

das des Kontrahenten zerlegen und sich
auch noch als so authentisch präsentieren
müssen, dass man ihnen nicht anmerkt,
wie übertrainiert sie ins Rennen geschickt
werden. Dabei wurden ernsthafte Politi-
ker wie beflissene Praktikanten der Unter-
haltungsindustrie vorgeführt, etwa wenn
von den zweien, die einander beim Speed-
dating sogleich fetzen werden, zum Gaudi-
um verlangt wird, dem Gegner zuvor noch
rasch ein albernes persönliches Präsent zu
überreichen. Kaum ist die Wahlkonfronta-
tion aus, folgen übrigens die Expertenrun-
den, die dem tumben Publikum erklären,
was es gerade gesehen und gehört und wie
es die Dinge zu verstehen habe.
Warum das alles? Um der Politik ausge-
rechnet als Show wieder zu ihrem Recht zu
verhelfen? Oder weil das Entertainment
sich alles greift, was es kriegen kann, und
sich auch die Politik einverleibt? Die De-
moskopen gelangen jedenfalls zu einem
denkwürdigen Fazit: Nach dem wochen-
langen Overkill mit Debatten und Duellen
hat sich an den Wahlpräferenzen der Öster-
reicher offenbar so gut wie nichts geän-
dert. Die Leute, betäubt von der großen
Show, wählen am Ende genau den, von
dem sie schon vorher überzeugt waren,
dass er ihre Sprache spreche.
„Einer, der unsere Sprache spricht“:
Wem gehört eigentlich das Copyright an
diesem Werbespruch, der gar so überzeu-
gend auch wieder nicht anmutet? Der neu-
en türkisen ÖVP, der alten FPÖ, bei der
jede vermeintliche Erneuerung nur wie-
der ihre alten völkischen und autoritären
Traditionen hervorkehrt? Nein, es ist ein
Toter, der uns im Kampf um die Wähler-
stimmen voranschreitet. Es war Jörg
Haider, der unerreichte Großmeister des
österreichischen Populismus. Er ist schon
1999 mit diesem Slogan auf Wählerjagd
gegangen.

Zündholz

Karl-Markus Gauß, 65,
ist österreichischer
Schriftstellerund Essayist.
Er lebt in Salzburg.

DEFGH Nr. 218, Freitag, 20. September 2019 (^) MEINUNG HF2 5
BILD: ULRIKE STEINKE
Unsere Sprache
Der Wahlkampf in Österreich sei schmutzig wie nie, heißt
es. Doch die Barbarisierung der Politik läuft schon lange.
Und am Ende steht die große Wählerbetäubung
VON KARL-MARKUS GAUSS
STEINKES ANSICHTEN
Politiker werden vorgeführt
wiebeflissene Praktikanten
der Unterhaltungsindustrie


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