Süddeutsche Zeitung - 20.09.2019

(Barré) #1

München – Noch macht es „fiep-pip-
piep“, „tschiwip-wip-wip“ oder „mäck-
mäck-mäck“. Aber wie lange noch werden
die Vogelstimmen zu hören sein, wann
wird Stille den Wald beherrschen? Solche
Gedanken kommen einem, wenn man der
Soundinstallation „Ambient For A Silent
Forest“ von Kalas Liebfried folgt. Schon
lange hat der Münchner die Stimmen von
Vögeln gesammelt, die auf der Liste der ge-
fährdeten Arten stehen. Vom Alpenstrand-
läufer bis zur Zwergseeschwalbe – 29 Ar-
ten. 29 ganz unterschiedliche Gesänge, die
mal kurz und staccatohaft wie ein harter
Technobeat, mal lang gezogen und ge-
schwungen wie eine fröhliche Arie klingen.
Als Liebfried von der Pinakothek der Mo-
derne im Rahmen des „Various Ot-
hers“-Programms gefragt wurde, ob er
sich eine Soundinstallation im Dialog mit
einem Kunstwerk aus der Zeit nach 1945
vorstellen könne, sagte er sofort zu, wie er
am Rande der Performance in dem Muse-
um erzählt. Und suchte sich ausgerechnet
die knochenharte Beuys-Installation „Das
Ende des 20.Jahrhunderts“ aus. Die 44 Ba-
saltsäulen, die der Künstler 1983 mit Kegel-
förmigen Kernbohrungen versah, in die Lö-


cher Ton und Filz einbrachte, um darin die
ausgebohrten und bearbeiteten Steinkegel
zu versenken, stellen in ihrer Gesamtheit
schon einen Dialog dar: den zwischen Alter
und Neuer Welt, zwischen Natur und Ratio,
zwischen Verwundung und Heilung.

Liebfrieds Abgesang nun erschallte als
Vier-Kanal-Sensurround-Installation um
das Beuys-Werk herum aus großen Laut-
sprechern, die die Form von Nistkästen hat-
ten und aus brasilianischer Plantagenkie-
fer hergestellt waren. Ein Verweis auf die
fortschreitende Zerstörung des Waldes
durch Monokulturen. Die Vogelstimmen
mischte er mit diversen Flötentönen sowie
Synthesizerklängen eines historischen „Ju-
no 60“ von Roland – wie das Beuys-Werk
ein Instrument von Anfang der 1980er-Jah-
re. Live kam im Verlauf der einstündigen
Aufführung noch das Trillern aus 14 Vogel-
wasserpfeifen hinzu, die Liebfried an Mit-
streiter im Publikum verteilt hatte.

Die Zuhörer ließen sich von dem an-
und abschwellenden Gezwitscher, bei dem
die Grenzen zwischen natürlich und men-
schengemacht immer mehr verschwam-
men, anregen zu eigenen Gedankenwel-
ten. Wähnten sich mal auf einer lichten
Wiese, mal im Dschungel und folgten der
Komposition, die in der Nachfolge von Bri-
an Enos „Ambient Music for Airports“
steht. Eno hatte 1977 nach einem stunden-
langen Zwangsaufenthalt auf dem Flugha-
fen Köln-Bonn mit der Komposition begon-
nen, die 1978 veröffentlicht wurde und den
Begriff „Ambient“ in der Musik zwar nicht
einführte, aber etablierte. Dabei ist Am-
bient nicht mit Hintergrundmusik zu ver-
wechseln, wie man sie aus Hotellobbys,
Aufzügen oder Kaufhäusern kennt. Diese
soll das Gehirn des Zuhörers auf Durchzug
schalten und ihn entspannen – hat mitun-
ter aber den gegenteiligen Effekt, wenn ei-
nem das ewige Vier-Jahreszeiten-Gedudel
den letzten Nerv raubt. Ambiente-Musik
fördert hingegen die Konzentration des Zu-
hörers und fordert ihn heraus: nachzuden-
ken über die Musik und die Themen, die da-
mit verbunden sind. Wie das leise Ver-
schwinden des Waldes. evelyn vogel

München– „Guten Abend, mein Name ist
Günther Jauch!“ Zum bekannten Jingle
der Quizshow „Wer wird Millionär?“
schwirren die Lichtkegel der Scheinwerfer
durch den Raum, bleiben abrupt auf den
Gesichtern der Kandidatinnen kleben. Ei-
ne Million Euro kann hier heute allerdings
keiner gewinnen. Der Günther Jauch auf
der Bühne des Ampere ist 1,59 Meter groß,
schwarz und trägt die Frisur von Uma Thur-
man in „Pulp Fiction“.

„Willkommen zum Nura-Quiz“ günther-
jaucht die Berliner Rapperin – und steigt
aus einem meterhohen deutschen Reise-
pass, den sie zur Showtür umgebaut hat,
auf die Bühne. Ihre Preisfrage an das Publi-
kum: „Wer hat keinen Schulabschluss und
macht trotzdem Scheinchen? a) ganz
Deutschraps, b) deine Mutter oder c) Nu-
ra.“ Nura alias Nura Habib Omer war zu-
sammen mit Juju alias Judith Wessendorf
SXTN. Seit 2014 formulierten sie als Rap-
Duo die weibliche Antwort auf den über-

wiegend männlichen, deutschen Hip-Hop.
Sie brachten Humor und Haltung in die Sze-
ne: SXTN war Feminismus auf die Fresse.
In Songs wie „Nein heißt Nein” oder „Er
will Sex” feierten Juju und Nura selbstbe-
wusst ihre Weiblichkeit. 2018 erfolgte
dann die überraschende Trennung: Juju
und Nura gehen seither getrennte Wege. In
ihren Solo-Songs wechselt Nura nun oft
ins R’n’B-Fach: Mehr Gesang, weniger
Rap. Nura tritt seit der SXTN-Auflösung
freizügiger auf: Sex-positiver Feminismus
statt Krawall-Rap. Nuras erstes Solo-Al-
bum „Habibi“, das im März erschien, stieg
in den deutschen Charts in die Top-10 ein.
Im Ampere spielt Nura Songs von ihrem
Debütalbum. Mit Kraft, Witz und einer be-
eindruckenden Aura zeigt sie, was sie für ei-
ne Live-Performerin ist. Sie macht sich mit
klaren Statements stark für Geflüchtete,
tanzt mit einer LGBTQ-Regenbogenflagge
über die Bühne, kifft demonstrativ wie ein
Schornstein, erzählt stolz von ihren eritrei-
schen Wurzeln – und hat trotzdem ein Ge-
spür dafür, wann ein Konzert auch ko-
misch sein darf. Alles in allem, sehr unter-
haltsam – auch ohne Anzug, Konfettiregen
und Telefonjoker. stefan sommer

München– Imkommenden Jahr wird an
der Isar ein temporäres Kunstwerk entste-
hen: Der Kulturausschuss der Stadt Mün-
chen hat mehrheitlich der Installation
„Bridge Sprout“ des japanischen „Ateliers
Bow Wow“ zugestimmt. Eine Gegenstim-
me kam aus der Bayernpartei. Frühestens
im Sommer 2020 werden nun zwei Brü-
ckenköpfe auf Höhe der Gewürzmühlstra-
ße und gegenüberliegend von der Schwind-
insel aus ein kurzes Stück über den Fluss
ragen. Kostenpunkt: 250000 Euro.
Der Einspruch der Bayernpartei war
kurz aber deutlich: „Wir wollen nicht eine
weitere kastrierte Brücke an dieser Stelle
aufgestellt haben“, sagte Richard Progl.
Das Kunstwerk wird unweit der Ludwigs-
brücke entstehen, die von 2020 an saniert
wird. Diese Bedenken teilten die übrigen
Ausschussmitglieder nicht, sondern unter-
stützten die Idee der Architekten aus Ja-
pan, zwei nicht verbundene Brückenköpfe
aus heimischen Hölzern an der Isar zu er-
richten. Sie sollen an die Holzbrücken im
Alpenraum und an die Flößertradition erin-
nern. Die Schwindinsel soll neu erfahrbar
werden. Das Projekt soll eine „Verbeugung
vor der Natur“ sein. pop


München– Nach der Pflicht kam die Kür,
nach dem Finale das Preisträgerkonzert,
dazu ein akustisch besserer Raum, ein an-
deres Orchester, ein neuer Dirigent, und so-
gar das nicht gerade exzellente, etwas
stumpf klingende Instrument ist fast ver-
gessen: Sihao He mühte sich beim Finale
im Herkulessaal immer wieder, seinem Cel-
lo im Schumann-Konzert Fülle, Farben
und eine musikalische Gestaltung abzuge-
winnen, bekam dafür aber den dritten
Preis, zumal der 26-jährige Chinese im Se-
mifinale hervorragend Joseph Haydns
D-Dur-Konzert gespielt hatte.
Nun beschloss er das erste Preisträger-
konzert im Prinzregententheater mit dem
Rundfunkorchester unter Leitung von Va-
lentin Uryupin mit demselben Konzert;
und plötzlich schien ein Knoten geplatzt.
Freier, präziser, sogar sonorer klang vieles
und der „Sehr lebhaft“ überschriebene ab-
schließende Satz wurde zu einem leicht ver-
rückten Tanz. Dagegen waren die „torkeln-
den Männer mit Teufelsmasken“ im „Feu-
erläufer“ genannten dritten Satz des
Schlagzeug-Konzerts „Focs d’artifici“ von
Ferran Cruixent um einiges wilder und zir-
zensischer; da schoss Strawinskys „Sacre“
um die Ecke und war vieles auf den äuße-
ren Effekt komponiert. Ihn kostete der
22-jährige Franzose Aurélien Gignaux, aus-
gezeichnet mit dem zweiten und dem Preis
für die beste Interpretation des Auftrags-
werks, weidlich, aber kontrolliert aus.


Ganz unterschiedlich waren auch die
Werke und die beiden Holzbläser, die sie
spielten. Leider war Theo Plath (dritter
Preis) im Fagottkonzert von Carl Maria von
Weber wieder – wie im Finale mit demsel-
ben Konzert – allzu zurückhaltend, verzich-
tete darauf, Melodien Kontur zu geben und
zwingend zu phrasieren, also aus schönen
Tönen auch Musik zu machen. Die Heraus-
forderung für den Klarinettisten Han Kim
(Zweiter und Publikumspreis) war eine
ganz andere und diese meisterte er furios,
besteht Elliott Carters Konzert aus dem
Jahr 1996 doch aus sieben kurzen, in Tem-
po und Ausdruck facettenreich kontrastie-
renden Sätzen, die die oftmals virtuose Kla-
rinette stets mit einer anderen Instrumen-
tengruppe zusammen agieren lassen: zu-
erst mit Harfe, Klavier und Marimba; dann
mit Schlagwerk oder dem gedämpften
Blech, den Holzbläsern oder fünf Solo-
Streichern. Am Ende stand der 23-jährige
Koreaner vorne beim Dirigenten und konn-
te sich exzellent gegenüber dem Orchester
behaupteten. klaus kalchschmid


Gezwitscher zwischen den Säulen


Kalas Liebfrieds Soundinstallation „Ambient For A Silent Forest“ in der Pinakothek der Moderne


München– Es wirkt, als hätte das Münch-
ner Konzertpublikum noch nicht in Gänze
mitgekriegt, dass es wieder losgeht. Jeden-
falls sind in der Philharmonie erstaunlich
viele Plätze frei, was vielleicht mit der
Angst potenzieller Zuhörer vor Schnittke
zusammenhängt. Allerdings schaut es
nach der Pause nicht besser aus. Und da
gibt es, wie immer, Bruckner, diesmal
Nr. 6. Valery Gergiev und die Münchner
Philharmoniker beginnen übrigens schon
deshalb die Saison mit drei verschiedenen
Bruckner-Symphonien – 6, 7, 5 – an drei
Tagen hintereinander, weil kommende Wo-
che die Aufnahmen aller Bruckner-Sym-
phonien in St. Florian weitergehen. Da
passt es auch sehr gut, dass Gergiev am
Freitag die fünfte Symphonie mit der 36.
von Mozart kombinieren wird. Die trägt
den Beinamen „Linzer Symphonie“. St. Flo-
rian liegt in der Nähe von Linz.

Allerdings erstaunt es an diesem Abend,
dass die Münchner Philharmoniker gerade
die sechste Symphonie auch in der Kirche
dort aufnehmen werden. Die ist die unhei-
ligste der Bruckner-Symphonien, ihre Ver-
schrobenheit ist sehr zugänglich. Der erste
Satz dürfte in Teilen vielen Filmkomponis-
ten eines späteren Jahrhunderts als Inspi-
rationsquelle gedient haben, zumindest in
Gergievs farbenfroh-direkter Interpretati-
on. Das Adagio ist von fein bewegter An-
mut, was darauf folgt, wäre an sich hinrei-
chend gspinnert, hätte man zuvor nicht Al-
fred Schnittkes erste Symphonie gehört.
Diese hört man selten im standardisier-
ten Konzertbetrieb, und sie ist ein fabelhaf-
ter Anschlag auf alle festgefahrenen Ge-
wohnheiten. Erst einmal ist niemand da,
das Licht bleibt an, ein Schlagzeuger
taucht auf und macht sich an den Röhren-
glocken zu schaffen. Dann eilt ein Trompe-
ter herbei, setzt sich und spielt wild drauf-
los, es folgen Marie-Luise Modersohn mit
ihrer Oboe, Michael Martin Kofler mit sei-
ner Flöte. Schließlich kommen sehr viele
Philharmoniker aufs Podium, Gergiev
folgt mit der riesigen Partitur und gemein-
sam entwerfen sie ein grandioses Tohuwa-
bohu, ein in alle Richtungen tönendes
Volksfest aus ein paar hundert Jahren Mu-
sikgeschichte, sorgsam bewacht von den
Blechbläsern, die wie Geharnischte auf ih-
rem hohen Podium sitzen.
Schnittkes erste Symphonie, uraufge-
führt 1974, ist überlegene Parodie, Monta-
ge, Zitatenschatz, aber nie beliebig oder
läppisch. An diesem Abend spielen die Phil-
harmoniker mit großem Furor, ja mit über-
bordender Freude. Herrlich! Lustig ist es,
es gibt noch mehr Wanderungen der Musi-
ker. Und auch wunderschön ist es: Im trans-
parenten Streichersee des dritten Satzes
melden sich mit euphorischen Einschüben
Celeste, Cembalo und Klavier zu Wort, der
Satz endet mit einem herzzerreißenden
Ländler, eingespielt von Lorenz Nasturica
und Julian Shevlin. Dann wieder Jazz, E-Gi-
tarre, Beethoven in Schräglage, Eschatolo-
gisches. Wunderbar. egbert tholl

von evelyn vogel

Z


um Höhepunkt kommt man im Tief-
geschoß. Dort trifft man auf die Aus-
stellungsstücke, die den größten
Spaß bereiten. Das liegt vor allem an den
Objekten, welche Die Neue Sammlung der
Ausstellung „Tutto. Perspektiven italieni-
scher Kunst“ hinzugefügt hat. Das Münch-
ner Designmuseum ist der dritte Partner
in einer Kooperation zwischen der Samm-
lung Goetz mit dem Museion Bozen und ist


  • nachdem die Gemeinschaftsausstellung
    zuvor in Südtirol zu sehen war – erst jetzt
    bei der Präsentation in den Räumlichkei-
    ten in Oberföhring dazu gestoßen.
    Das bedeutet aber nicht, dass die Aus-
    stellung mit Kunst der Nachkriegszeit aus
    Italien nicht auch in der bisherigen Form
    große Freude bereitet hätte. Denn Qualität
    und Quantität der Bilder, Fotos, Videos
    und Objekte ist beachtlich. Und wie diese
    Werke aus den beiden Sammlungen sich
    zueinander verhalten, ist wunderbar. Da-
    bei sind die Arbeiten im ersten Raum des
    Obergeschosses eine klare Setzung, die
    zeigt, wie die italienischen Künstler die
    Flachware des Tafelbildes aufzubrechen
    suchten und mit der Materialität spielten.
    Drei Arbeiten von Alighiero Boetti, darun-
    ter das gestickte Werk „Tutto“, das Na-
    mensgeber der Ausstellung war, steht eine
    Arbeit von Lucio Fontana gegenüber. Kei-
    nes seiner berühmten monochromen
    Schlitzbilder, sondern eines, auf dem er far-
    bige Glasstücke aufsetzte, die das Licht re-
    flektieren, was die vorhandene Dreidimen-
    sionalität des Werks wie um eine weitere
    Dimension ergänzt.


Exemplarisch in der seriellen Fortfüh-
rung der ausgestellten Werke sind die Wer-
ke im zweiten Raum des Obergeschosses
hervorzuheben. Dort werden beispielswei-
se zwei Arbeiten auf gewölbter Leinwand
mit Strukturmomenten von Enrico Castel-
lani aus der Sammlung Goetz ergänzt
durch eine aus dem Museion Bozen. Ähn-
lich verhalten sich weitere Arbeiten von
Agostino Bonalumi zueinander: zwei
schon stark in die Dreidimensionalität ge-
henden Arbeiten in weiß und rot aus der
Münchner Sammlung gesellt sich ein gera-
dezu objekthaftes Bildwerk in schwarz aus
dem Museion Bozen hinzu. Die Kombi
über Eck erweitert durch weitere drei Ar-
beiten aus hiesigen Beständen. Und so
geht es munter weiter.
Auch bei den Locharbeiten von Eduarda
Emilia Maino, genannt Dadamaino, übri-
gens eine der wenigen Künstlerinnen in
der Ausstellung, und Paolo Scheggi stellen
sich durch die Variationen offensichtliche
Zusammenhänge her. Bemerkenswert ist:
An kaum einer Stelle hat man das Gefühl,
hier wurde noch dazu gehängt, was eben
vorhanden war. Immer fügt sich alles zu ei-
ner fein austarierten Gesamtkomposition
zusammen.
Im Foyer wurde kurzerhand die Biblio-
thek geräumt, um Platz zu schaffen für luf-
tig gestellte Glas- und Keramikarbeiten,
die den Bogen von der Kunst zur Alltagskul-
tur schlagen. In allererster Linie stammen
sie aus der Neuen Sammlung, die unter an-
derem mit einem hübschen Konvolut aus
Schalen, Vasen und Teekannen des Desig-
ners Ettore Sottsass glänzen kann. Aber sie-
he da: Auch die Sammlerin Ingvild Goetz

besitzt einzelne schöne Objekte von ver-
schiedenen Glaskünstlern aus Murano.
Im Untergeschoss wird es, wie schon er-
wähnt, nicht nur lustvoll und spaßig, son-
dern auch gesellschaftskritisch bis poli-
tisch. Da sind Arbeiten von Carla Arcadi
und Achille Perilli zu sehen, die Ende der
1940er-Jahre mit flammenden Manifesten
die Bedeutung der Abstraktion in ästheti-
scher und gesellschaftlicher Hinsicht ver-
teidigten. Da hängen Werke von Künst-
lern, die bewusst die Einflüsse anderer Me-
dien wie dem Film aufnahmen, die politi-
sche Ausdrucksformen wie das Plakat
oder Zeichen der Alltagskultur wie Wer-
bung verarbeiteten.

Michelangelo Pistolettos Spiegelbilder
zeigen nicht nur das Bild, sondern fangen
auch den Betrachter und den umgebenden
Raum ein. Mario Schifanos lackglänzende
Markenlogos und Symbole der Alltagskul-
tur wie der Coca-Cola-Schriftzug oder die
Chanel-Nummer in der „Propaganda“-Se-
rie oder die „Crash“-Reihe, mit der er War-
hols „Car Crashes“ zu kommentieren
scheint, machten ihn zu einem bedeuten-
den italienischen Vertreter der Pop Art.
Hier waren Konsum und Alltag in der italie-
nischen Kunst der Nachkriegsmoderne an-
gekommen. Auch deshalb ist die Agip-
Tankstelle mit dem vielbeinigen, feuerspei-
enden Tier-Logo so passend – und in der
Mitte des Raumes eine echte Schau!

Diese Markenstücke stammen ebenso
aus dem Bestand des Münchner Designmu-
seums wie die bühnenreif inszenierten Ob-
jekte im Durchgang zum „Base“. Möbel, Ra-
dios, Telefone und anderes mehr sind farb-
lich abgestimmt so hübsch im Dunkel illu-
miniert, dass die Gebrauchsgegenstände
gleich doppelt wertig erscheinen. Zugleich
zeigt sich aber auch die Lust der italieni-
schen Designer am Experiment mit Form,
Farbe und Material. Da wurden Kunststof-
fe geschäumt und in Formen gegossen, Ny-
lonschnüre gespannt, Holz und Metall mit
neuen Kunststoffen laminiert. Wunderbar
der Kleiderständer als Kaktus!
Der große fensterlose Raum im „Base“
bleibt weitgehend im Dunkel, weil hier
auch Videos gezeigt werden. Bilder, vor al-
lem aber Fotos und einige Installationen
werden spotartig erleuchtet. In der Mitte
thront regelrecht der riesige rote Sessel
von Gaetano Pesce. Wenn es etwas an der
fabelhaften „Tutto“-Ausstellung zu kriti-
sieren gibt, dann ist es dieser Raum. Seine
Größe und die große Zahl der Exponate
macht diesen Teil der Schau etwas unüber-
sichtlich. Hier hätte man sich einige Unter-
teilungen gewünscht, die dann auch einen
Rhythmus von helleren und dunkleren Be-
reichen ermöglicht hätte. Denn nicht nur
manche Fotos benötigen weniger Lux,
auch einige Möbel. Schaumstoff war ein
tolles neues Material, seine Halbwertszeit
allerdings deutlich kürzer als gedacht.

Tutto. Perspektiven italienischer Kunst, Samm-
lung Goetz, Oberföhringer Str. 103, bis 29. Feb., Do-
Fr14-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr, nur nach Anmeldung:
http://www.sammlung-goetz.de oder Tel. 95 93 96 90

Mut


zur Brücke


Der Kulturausschuss stimmt
einer Installation an der Isar zu

Knoten geplatzt


Das ARD-Preisträgerkonzert
im Prinzregententheater

Sehr munter, wach und gut gelaunt eröff-
net Valery Gergiev die Philharmoniker-
Saison. FOTO: ANDREA HUBER

Überbordende


Freude


Gergiev und die Philharmoniker
starten grandios in die Saison

Kraft und Witz


DieBerliner Rapperin Nura im Ampere


Kunst für die Straße


Die Sammlung Goetz in Oberföhring zeigt in Kooperation mit dem Museion in Bozen


und der Neuen Sammlung München die fabelhafte Ausstellung „Tutto“


Blick in die Ausstellung „Tutto“. FOTO: COURTESY THE ARTISTS / SAMMLUNG GOETZ, MÜNCHEN / MUSEION BOZEN / DIE NEUE SAMMLUNG – THE DESIGN MUSEUM / VG BILD-KUNST BONN, 2019 / THOMAS DASHUBER

Gebrauchsgegenstände
erscheinen durch die Präsentation
gleich doppelt wertig

Gemeinsam entwerfen sie
ein grandioses Tohuwabohu

Auch Vogelwasserpfeifen kamen in der
Soundperformance von Kalas Liebfried
zum Einsatz. FOTO: FRANZISKA PIETSCH

Der Klarinettist Han Kim spielt


Elliott Carters Konzert furios


Die Lautsprecher sehen aus wie
Nistkästen und sind aus
brasilianischem Plantagenholz

KURZKRITIK


R20 – (^) KULTUR Freitag,20. September 2019, Nr. 218 DEFGH

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