Neue Zürcher Zeitung - 21.09.2019

(nextflipdebug5) #1

40 KUNSTHANDEL/AUKTIONEN Samsta g, 21. September 2019


Ob Bäume nicht aucheine Seelehätten,fragt sic hEnzoEnea. JOËLHUNN/ NZZ

Florenz entdeckt


den trendigen


Mix der Epochen


Die Antiquitäten-Biennale von
Florenz öffnet sichder Moderne

GABRIELE DETTERER, FLORENZ

So viel Schönes auf einem Fleck!
Mit kurzen Fusswegen zu exzellen-
tem Kunsthandwerk und zu wunder-
baren Gemälden der abendländischen
Kunstgeschichte punktet die nunmehr
31.Biennale Internazionale dell’Anti-
quariato von Florenz. Im kleinsten Um-
kreis finden sichrareKostbarkeiten,
und dies nicht allein am noblen Stand-
ort der altehrwürdigen Messe, dem
Palazzo Corsini, sondern auch in den
unweit vom Messeschauplatz zu finden-
den Kunsthandlungen an derVia Mag-
gio oder derViadei Fossi. DasAngebot
an Kunst und Antiquitäten soll rund
4500Werke umfassen, undsie alle wer-
den zum Kauf angeboten.
Allein mitPreziosen aus vergan-
genen Epochen lässt sich aber auch
in Florenzkein attraktives Messekon-
zept mehr auf die Beine stellen. Dies
hat nun die traditionsreiche Florenti-
ner Verkaufsschau, 1959 gegründet,rea-
lisiert.So begeht sie nicht nur mit einem
grossen Beiprogramm,nämlich der Flo-
rence ArtWeek in der Stadt,ihr S ech-
zig- Jahr-Jubiläum. DemTrend der be-
deutendenTefaf Maastricht fürKunst
und Antiquitäten folgend,erweitert sie
den Zeitrahmen ihres Programms. Zu
entdecken an der Florentiner Schau ist
demnach neben ganz alterKunst etwa
aus der Antikenun ebenfallssolche von
Gegenwartskünstlern wie Michelan-
gelo Pistoletto, Hiroshi Sugimoto oder
Daniel Buren.

Ein Ort für italienische Kunst


MesseleiterFabrizioMoretti propagiert
die Biennale als den wichtigsten Han-
delsplatz für erstklassige italienische
Kunst – und mag damitrecht haben.Die
überwiegende Mehrheit der 77Ausstel-
ler stammt jedenfalls aus Italien. Etwas
zaghaft ist die Beteiligung internatio-
nal aufgestellter Galerien und Händ-
ler.Aber auch diese haben Hochkarä-
tiges mitgebracht. So huldigt Gian Enzo
Sperone aus Sent (Schweiz) dem trendi-
gen Epochenmix undkombiniertArbei-
ten vonAlighiero Boetti mitKunst aus
dem Ottocento, nämlich Selbstporträts
von GiacomoTrecourt. Am Stand von
Simon Dickinson aus London hingegen
sind VedutenvonCanalettoundande ren
italienischen Meistern zu bewundern.
Hier müsste man, um die genussreichen
Lichtblicke auf Venedig permanent bei
sich zu Hause vorAugen zu haben, sehr
tief in dieTasche greifen. Allein schon
dieimpressionistischverhuschteAnsicht
«San Giorgio Maggiore» (1775–1779)
von Francesco Guardikostet rund eine
Million Euro. Wer sich jedoch in histo-
rische Stadtansichten von Florenz ver-
guckt,kommt günstiger weg:Das Ge-
mälde von Giovanni Signorini (1808–
1864) mit Blick auf den Arno ist bei der
GalleriaAntonaccizumPreisvon45 000
Euro zu haben.

Spitzenqualität ist rar


Liebhaber der Akrobaten der Lüfte
dürften sich hingegen für einen gemal-
ten Schwalbenflug am Stand von Art
Studio Livorno begeistern. Gerardo
Dottori, Protagonist der zweitenFutu-
ristengeneration, schuf diese «aeropit-
tura»1932, der Preis beläuft sich auf
moderate 70000 Euro. Das Beispiel
zeigt, dass sich auch in tieferen Preis-
klassenKunstvolles findet. Erstklassige
Qualität mit lückenloser Provenienz
aber ist wie überall auch hier teuer.
Das gilt nicht nur für Gemälde, son-
dern ebenso für historischesKunsthand-
werk. Gesucht sind insbesondere Uni-
kate berühmter Möbeltischler.Tomaso
Piva aus Mailand zeigt uns zwei wun-
dervolle Schränkchen mit Intarsien aus
Rosenholz,Palisander und Ahorn, die
400000 Euro kosten. Solche Möbel,
die man spontan streichelt, um ihren
immateriellenKulturwert zu spüren,
schreinerte etwa im18.Jahrhundert der
Kunsttischler Giuseppe Maggiolini.(Bis


  1. September)


«Wir brauchen Luft zum Atmen»


Bäume seien die bessere Kunst, glaubt der Schweizer Landschaftsarchitekt Enzo Enea


PHILIPP MEIER


Weil es immer weniger davon gebe,
müsse er sie sich nun eben inKunstform
holen. DerBaumsammler, der auch ein
Kunstsammler ist, zeigt auf ein frühes
Schmetterlingsbild vonDamien Hirst.
In seinem Showroom inRapperswil-
Jona hängt hintereinem langen,schlich-
ten Holztisch auch ein knallbuntes
Querformat vom Briten IanDavenport.
Die farbigen Streifen scheinen dieFar-
ben der Hortensien und anderer Blu-
men zu zitieren,die wir auf der anderen
Seitedes grossenTeichs vor Enzo Eneas
Pavillon erahnen. Dortragen auch far-
benfrohe übergrosse Pilze hinter einer
Hecke hervor:Sylvie Fleury winkt uns
herüber.
Es sei verrückt, was gehe, meint
Enzo Enea nicht nur wegen der feh-
lenden Sommervögel in seinemBaum-
museum – immerhin Singvögel kämen
noch zahlreich, fügt er an. Nein, der
Schweizer Star-Landschaftsarchitekt
meint vor allem auch den Konsum-
wahn, der aller Nachhaltigkeitsideolo-
gie, wie sie heute so gerne bemüht wird,
doch eigentlich Hohn spreche. Prestige-
marken der Modewelt schössen doch
wie Pilzeaus demBoden,gibt ermit Sei-
tenblick aufSylvie Fleurys Installation
in den irisierendenRegenbogenfarben
von Nagellack zu bedenken.
Prestige-Kult? Ob die Gegenwarts-
kunst nicht auch dazugehört? Oder ein
Garten von Enzo Enea? Ist nicht auch
er selber, der rund um den Globus ge-
feierteTraumgarten-Künstler,längst zu
einem Brand geworden? Gewiss, das
schon. Abgehoben ist Enea deswegen
aber nicht.Der Nachhaltigkeitsgedanke,
wenn auch gewiss ein gutesVerkaufs-
argument in unserenTagen, liegt ihm
am Herzen. Und man glaubt ihm das
gerne. Seine Scholle, auf der er heran-
gewachsen ist – die lieblicheLandschaft
am Obersee –, hat er nicht verlassen.
Obwohl er viel in derWelt herumreist.
Wo seinVater als Steinmetz von
Pflanzentöpfen eine Gärtnerei gegrün-
det hatte, errichtete Enea in den letz-
ten 25Jahren das Zentrum einesLand-
schaftsarchitektur-Unternehmens, des-
sen Ausläufer mit Zweitbüros bis nach
Miami und Schanghaireichen.Hier
entwirft er jährlich mehr als150Aus-
senraumprojekte, oft im Zusammen-
spiel mit namhaften Architekten wie
Tadao Ando, David Chipperfield oder
einst Zaha Hadid. Hier hat er seine rie-
sige Baumschule auf einem Areal von
zehnFussballfeldern. Hier beschäftigt
er über 200 Mitarbeiter vom Schreiner
und Elektriker über denBauingenieur
bis zumBaum-Scout, der in der ganzen
Welt nach den richtigenBäumen sucht.
Und hier hat Enzo Enea unter freiem
Himmel auch sein einmaliges Museum
eingerichtet. Ein Museum für dieKunst
der Natur, nämlich fürBäume.


Er rettetsie mit dem Helikopter


Dabei sind alle seine Baumschätze
eigentlich «Abfall» –Bäume, die umge-
hauen und zu Brennholz gemacht wor-
den wären, wenn sie Enea nichtaus Bau-
stellen gerettet hätte.Wenn das Univer-
sitätsspital erweitert werde, müsse eben
der Baum weg, sagt er. Dem Umbau
des Kongresshauses Zürich musste ein
über150 Jahre alterJapanischer Ahorn
weichen. Hier hat er eine neue Hei-
mat erhalten. Enea holt sich die oft ur-
altenBäume, weil er weiss, wie man das
macht,ohne dass sie dabei eingehen. Er
scheut dabeikeinenAufwand, setzt auch
den Helikopter ein, wenn es sein muss.
Wie das geht?Das ist Berufsgeheim-
nis. Enea hat ein eigenesVerfahren ent-
wickelt, wie man dieWurzeln beschnei-
den muss, so dass derBaum ausgegraben
und verpflanzt werden kann. Inspiriert
dazu hat ihn sein früherer Karatelehrer,
ein Japaner und Bonsai-Spezialist.
Wenn erBäume sammelt, dann sam-
melt Enzo Enea eigentlichKunst, so ist
er überzeugt. Mehr als fünfzigkönnen
heutein seinemFreiluftmuseum auf
dem Firmengelände bewundert wer-
den. Und seit 2013kombiniert er sie ge-
konnt mit Gegenwartskunst.Soeben hat


er vom deutschenKünstler Olaf Nicolai
ein Bienenhaus gekauft, das demnächst
in Betrieb genommen werden soll– vom
hau seigenen Schreiner, der auch Imker
ist. SolcheKunst ist es, die Enea mag:
mit Bezug zur Natur oder mit einer Spur
Kritik, was unsere Umwelt betrifft.
Deshalb steht der «Berserker» von
Stella Hamberg da.Wir seien doch alle
Berserker in unsererRücksichtslosig-
keit gegenüber der Umwelt,meint Enea.
Schon früh liess er sich vonKunst in-
spirieren, ging viel ins Museum. Heute
läss t er sich professionell beraten, und
zwar vom SchweizerKurator Christoph
Doswald, der immer wieder auch ganz
Zürich bespielt mitKunstwerken im
Aussenraum. Und verkauft auchKunst-
werke wieder, um neue zu erwerben.
Denn eines ist klar: Sein Garten Eden
mit all den alten Sammelstücken wird
nicht von derKunst dominiert, nur hie
und da setzt diese diskrete Akzente. Im
Vordergrund steht derBaum. Von sei-
nen Bäumen würde er sich nie tren-
nen, auch in hundertJahren nicht. Denn
mindestens so lange leben sie noch.Und
fas t so lange hat Enea dasLand von der
nahe gelegenen Abtei gepachtet.

Plötzlich stehen wir in einer Allee,
wo es kühler ist. Sumpfzypressen säu-
men den Kiesweg. Der idealeBaum
der Zukunft, meint Enea, der mit dieser
Baumart experimentiert.Viel Grund-
wasser nehmen seine Zypressen aus
dem wegen seiner Nähe zum Obersee
sumpfigen Boden auf, geben dieses an
die Luft der Umgebung ab und beein-
flussen so positiv das Mikroklima.Diese
Bäume könnten aber auch sehr gut mit
ganz wenigWasser auskommen, erklärt
Enea.Wie die sechs mit ihnen verwand-
ten Lärchen vom Bernina,die hier einen
kleinen Hain bilden. Enea hat sie aus
einerLawinenverbauung gerettet.

Von unvorstellbaremWert


Jeder alteBaum, der verschwinde, sei
ein Riesenverlust für die Umwelt,rech-
net Eneavor: Einehundertjährige Bu-
che etwa habe das Blättervolumen von
2000 Jungbäumen. EinJungbaumkoste
um die 1000 Franken. Mankönne sich
also ausmalen,was der wahreWert eines
so altenBaumes sei. Solchkostbare
Bäume sind es, die hier nun optimal zur
Geltungkommen.Vor Stelen aus Stein-

blöcken platziert,wirken sie wie ein Bild
oder eine Skulptur, werfen ihre Schat-
ten auf den warmen Stein, heben sich in
ih ren charaktervollenKonturen davon
ab, bilden im ZusammenspielRäume,
auch unsichtbare Lufträume. Denn Luft
sei es, was wir brauchten, betont Enea,
Luft zum Atmen.
Ob Bäume nicht aucheine Seele
hätten?Auf einem kleinen Kiesplatz
nämlich ragt wie ein Elefant eine
graue Steinskulptur von SergioTappa
in die Höhe, ein Mischwesen aus
Mensch undTier. «Animello» heisst
das Werk,ein Wortspiel aus Anima
(Seele) und Animale (Tier), denn der
Künstler seiüberzeugt, dass nicht nur
Menschen, sondern auchTiere beseelt
seien.Warum also nicht auchBäume?,
sinniert Enea. Und noch eine Skulp-
tur erregt unsere Aufmerksamkeit: Es
ist ein riesiger, auf dem Boden liegen-
der Baumstamm ausBali, versteinert,
20 MillionenJahre alt. Das relativiert
dochalles.

Rapperswil-Jona, Enea-Baummuseum, ge-
schlossen anSonn- und Feiertagen sowie vom
24.Dezember bis 31 .Januar.
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