Samsta g, 21. September 2019 SPORT51
Im Zeichen des schnellen Wandels
Vor einem Jahr demütigt YBden FCBasel 7:1 –das scheint heute undenkbar, weil die Berner verletzlicher geworden sind
PETERB. BIRRER
Ruedi Zbinden hat den simplen Satz
in den letzten zweiJahren oft gedacht
und gehört, als Scout oder als Sportchef
des FCBasel. Er ist 60-jährig, hat in der
Welt desFussballs schon viel gesehen
und sagt in einem Zimmer hoch oben im
Turm neben dem St.-Jakob-Park banal:
«Es kann schnell gehen.»
2017 war der FCBasel weit oben.
Zum achten Mal Meister in Serie, 17
Punkte vor YB,die Champions League
vorAugen,scheinbar für immer und
ewig entrückt, eine Dampfwalze, so
dominant und erdrückend, dass es schon
fast weh tat. Doch danachkehrte alles.
Werden die Spiele am Saisonschluss, in
denen es umwenig bis nichts mehrging,
aus derRechnung genommen,hat der
FCBasel gegenYB seit 20 17 nur noch
unentschieden gespielt oder verloren.
Cup inklusive.Torverhältnis: 7:19. Die
Berner wurden 20 18 und 20 19 Meis-
ter und distanzierten dieBasler um ins-
gesamt 35 Punkte.Die Dampfwalze
ist nicht mehrrot-blau, sondern gelb-
schwarz gestrichen.
BaslerDemaskierung 2018
Vor diesem Hintergrund ist es für den
FCBasel als Erfolg zu werten, dass er
am Sonntag als Leader das Stade de
Suisse betritt. Ziemlich genau vor einem
Jahr ging er dort 1:7 unter. Es war eine
Demaskierung sondergleichen.Eine Er-
schütterung für die Spieler, denTr ainer
MarcelKoller, das Selbstwertgefühl des
Klubs. Von den beiden Stammformatio-
nen von damals standen am Donners-
tag in der Europa League am Anfang
lediglichFabianFrei, ErayCömert und
RaoulPetretta fürBasel sowieDavid
vonBallmoos und ChristianFassnacht
für YB auf demRasen. Das ist aufTr ans-
fers, Rücktritte, Dispositionen derTr ai-
ner und auch auf Zufälle sowieVerlet-
zungen zurückzuführen und zeigt die
Wandelbarkeit desFussballs.
Was ist schon einJahr!?
Als YB im Herbst 20 16 die Zusam-
menarbeit mit dem SportchefFredy
Bickel beendete und imkommunikati-
ven Chaos versank,raunte man sich zu:
«So etwas wäre inBasel nie und nim-
mer möglich.» Als dieFührungsetage
des FCB im Sommer 20 19 die am Ende
nicht vollzogene Ablösung desTr ai-
ners MarcelKoller in dieWege leitete,
im kommunikativen Chaos versank
und den Sportchef Marco Streller ver-
lor, sagte man: «So etwas wäre in Bern
nie und nimmer möglich.» Doch die Ge-
schichte lehrt: Viel ist möglich, hier wie
dort. Erfolg ist zerbrechlich.
Auch wenn der FCBTabellenführer
ist und die Europa League am Don-
nerstag gleich mit einem 5:0 gegen den
russischen Leader aus Krasnodar ein-
läutete, haben sich im SchweizerFuss-
ball die Gewichte verschoben. InBasel
wird der Europacup nach einjähriger
Absenz mit dem Slogan «Ändlig wider
Europa» schon fast etwas demütig be-
worben. Natürlich sind die Gegner Kras-
nodar,Trabzonspor und Getafe nicht
Leuchtsterne am europäischen Fuss-
ballhimmel, aber die 11 000 abgesetz-
tenTicketpakete sind am unterenRand
der Erwartungen. YB hat für die drei
Heimspiele gegen die GlasgowRan-
gers, FeyenoordRotterdam undPorto
23000 Ticketpakete verkauft. Die Zah-
len sind auf den Klang derKonkurrenz
zurückzuführen undgleichzeitig Be-
leg für die FCB-Sättigung und für den
YB-Magen,der auch ohne Champions
League knurrt. In der Zuschauerstatis-
tik der Super League bleibt Bern gegen-
überBasel ebenfalls obenauf: 24 500 zu
21 800. Mit dem am Sonntag möglicher-
weise ausverkauften Stade de Suisse
wird die Distanz vergrössert.
Hätte YB gegenRoter Stern Bel-
grad die Champions League erreicht,
wäre die Kluft in derAussenwahrneh-
mung noch grösser geworden. Doch an
der Aare wie am Rhein ist die Europa
League Gradmesser geworden, nach-
dem die Schweizer Klubs in der Quali-
fikation gegen ein niederländisches, ein
österreichisches und ein serbisches Spit-
zenteam nur einen von dreiVergleichen
für sich entschieden hatten.Dahalten
sie sich ungefähr dieWaage.
Wie sich gängige Muster ändernkön-
nen, zeigt auch der Blick auf dieTr ans-
ferbilanz des letzten Sommers. Tr ansfers
sind überlebenswichtig fürSchweizer
Klubs.Auch in dem Bereich hat sich die
Rangliste verändert, zumindest in der
kurzfristigen Bestandesaufnahme. Wäh-
rendBasel für Albian Ajeti(West Ham)
und EderBalanta (Brügge) über 10 Mil-
lionen Schweizerfranken einnahm, er-
hielt YB für Djibril Sow (Eintracht
Frankfurt) undKevin Mbabu (Wolfs-
burg) über 20 Millionen.Wer europä-
isch spielt,machtTr ansfers mit grösse-
ren Volumen.
YB ist instabiler geworden
Dass sich alles schnell verändern kann,
merkt derzeit auch YB. Die Meister-
teams der letzten zweiJahrezeichne-
ten sich durch Stabilität aus. Einerseits
verloren die Berner nach demTitel 20 18
nur Kasim Nuhu (Hoffenheim, jetztFor-
tunaDüsseldorf),anderseits blieben sie
vonVerletzungen weitgehend verschont.
Doch jetzt fallen Spieler wie Mohamed
Ali Camara (Beinbruch), Miralem Sulej-
mani (komplizierte Muskelverletzung),
Christopher Martins (Adduktoren), San-
droLauper (Kreuzbandriss) und Marvin
Spielmann (Sprunggelenk) länger aus.
Wärensie stets bei vollen Kräftendabei
gewesen, hätte YB gegenRoter Stern
wahrscheinlichdie Königsklasse erreicht.
Kommt dazu, dass dieFragilität des
35-jährigen Guillaume Hoarau nicht ab-
nimmt.DerTorschützenkönig der letz-
ten Saison wird heuer kaum 24Tore
summieren und muss seine Einsätze
merklich dosieren. GegenRoter Stern
stand er total nicht einmal eine Halb-
zeit auf demRasen. Er hatden Status
eines lokalenRockstars und hat mit sei-
nerBand zweiKonzerteangekündigt,
die zeitlich so gelegt sind, dass sie ihm
hinterher nicht um die Ohrengeschla-
gen werdenkönnen. Im Oktober tritt er
in derLänderspielpause in der Mühle
Hunziken und kurzvorWeihnachten auf
grösserer Bühne im Bierhübeli auf.
Sie nähert sich, die Zeit von YB ohne
Hoarau.
Beim 7:1-Sieg gegen den FCB vorJahresfristtrifft der YB-Spieler Miralem Sulejmani zum 2:0, derzeit ist er verletzt. KEYSTONE
SuperLeague,7. Runde
Samstag, 19 Uhr Sonntag, 16 Uhr
Xamax - Sitten YB - Basel
St. Gallen - Servette Lugano - Luzern
Zürich - Thun
- Basel 6/15 6. Luzern 6/5
- YB 6/14 7. Thun 6/5
- Sitten 6/13 8. Zürich 6/5
- Servette 6/9 9. Lugano 6/4
- St. Gallen 6/7 10. Xamax 6/4
Zum Glück nicht Champions League
bir.·Wer voreinem Jahr behauptet
hätte, dass sich die YB-Abwehr zumAuf-
takt der Europa League 20 19 aus Nico-
las Bürgy, Frederik Sörensen und Cédric
Zesiger zusammensetzen werde und auf
denAussenbahnen SaidyJanko sowie
Ulisses Garcia unterwegs sein würden,
an dessen Sachverstand wäre gezweifelt
worden.Alles neu. Doch so war es am
Donnerstag inPorto (1:2), als in der ers-
ten Hälfte deutlich wurde, dass dies nicht
die Abwehrformel für das nächsteJahr
sein kann. «Im Momentkommt viel zu-
sammen», sagt derYB-Sportchef Chris-
toph Spycher, «aber wir dürfen nicht kla-
gen und stärken dasVertrauen derjenigen
Spieler, die jetzt in die Lücke springen.»
Die Gründe dafür sind «vielschich-
tig»,wie Spycher sagt. Miralem Sulej-
mani und Guillaume Hoarau sind nicht
jünger geworden. Zudem kann dieVer-
letzungsgefahr steigen, wenn sich neue
Spieler in einem Klub zurechtfinden und
behaupten müssen. InPorto fehlte eine
halbe Mannschaft, was für YB nach dem
im Sommer erfolgten Umbruch nicht
einfach zu bewältigen war. Ein Ge-
danke kam am Donnerstag anfänglich
auf:Zum Glück spielteYB nicht Cham-
pions League beiBayern München.
Trügerischer Friede
Charles Leclerc versucht, aus den Fehlern Sebastian Vettels Kapital zu schlagen – doch Ferrari ist auf die Erfahrung des Deutschen angewiesen
ELMAR BRÜMMER, SINGAPUR
Der nachWeltmeister Lewis Hamilton
erfolgreichsteFahrer desFormel-1-Som-
merskommt als strahlender Siegerzum
Nachtrennen in Singapur. DieFrage,
die es amÄquator zu beantworten gilt,
hängt von seiner fahrerischenRadika-
lität, noch mehr aber von derKurven-
tauglichkeit seinesFerrari SF 90 H ab.
Taugt der Kronprinz auchzueinem
König der Nacht?
Vom Lehrling zumLiebling
SiebenRennen haben aus demFerrari-
Lehrling Charles Leclerc einen Liebling
der Szene gemacht, und vielleicht findet
sogar SebastianVettel in dem Monegas-
sen seinen Meister. Der 21-Jährige war
zurrechten Zeit amrechten Ort und hat
das Richtige getan, der 32-jährige Deut-
sche fühlte sich zuletzt oft fehl am Platz,
ihm macht eine ungewöhnlich hoheFeh-
lerquotezu schaffen. Esgehtbeim unbe-
rechenbaren Geschlängel an der Marina
Bayum nicht mehr oder weniger als die
Vorherrschaft in der Scuderia,jetzt und
für dieZukunft.
DaFerraris Schicksal in Italien stets
von nationalemInteresse ist, spielt die
öffentliche Meinung eine grosseRolle.
«La Stampa» aus der Fiat-Metro-
poleTurin urteilte nach demTr iumph
LeclercsinMonza überVettel und die
nach ihrer Sicht neuenVerhältnisse:
«Der Schwan wurde zum hässlichen
Entlein. (...) Jedes Mal bei Saison-
beginn wittertVettel die Chance,es zu
schaffen und die Erfolge seines Mentors
Michael Schumacher zu erreichen. Die
Ankunft des jungen Leclerc hat diese
Pläne zerstört.» Gar als «abgehängt»
und «zum Sorgenfall» geworden bewer-
tet die Deutsche Presse-AgenturVettels
Si tuation vor Singapur.
Ausgerechnet beimFerrari-Heim-
sp ielpatzteVettel erneut schwer,be-
legte einen indiskutablen 13. Platz und
rutschte inder WM-Gesamtwertung
hinter Leclercauf den fünften Platz.
Es ist ein neuerlicher Beweis, dass sein
derzeitigerRennwagen nicht zuVet-
telsFahrstil passt.KeinWunder, dass
sich hartnäckigRücktrittsgerüchte hal-
ten. Doch, doch, er liebe noch immer,
was er tue, beteuerteVettel selbst nach
diesem dunklen Moment. Aber:«Wenn
du es nicht gut machst, kannst du auch
nicht glücklich sein.Vor allem, wenn du
weisst, dass du es besser kannst.» Die
Dreher und die Unpässlichkeiten häu-
fen sich, neun schwerePatzer in den
letzten 27Rennen sind eine Quote, die
zu denken gibt. Dazu hatVettel so viele
Strafpunkte kassiert, dass ihm beim
nächstenVergehen eine Sperre droht.
Vor demStart ins Schlussdrittel
der Saison wirkt SebastianVettel auf-
geräumt, geht gelassen über alleket-
zerischenFragen nach demVerlust sei-
nes Nummer-eins-Status und zurrenn-
fahrerischen Lebenskrise hinweg. Viel-
leichtredet er sich die Situation auch
schön, denn die Harmlosigkeit seines
altenPartnersKimiRäikkönen hat der
drängelndeAufsteiger Leclerc nicht.
«Ich gehe sehr, sehr kritisch mit mir sel-
ber um.Das hat mir immergeholfen,aus
solchen Situationen herauszukommen.»
Es handle sich nicht um eine mentale
Blockade, es müsse nur einfach endlich
«Klick» machen. Aber der Druck von
aussen wie innen wird immer grösser.
Leclerc und sein Manager NicolasTodt
werden versuchen, das zu nutzen.
Ferraris Präsident LouisC.Camil-
lieri, der über den bestbezahlten An-
gestellten seines Unternehmens zuletzt
auch nicht sonderlich erfreut war, will
die bisherige Nummer eins nicht de-
montieren: «Ich mag es nicht, dass die
Leute Sebastian abschreiben. Ich habe
vollesVertrauen, dassersich zurückmel-
den wird.Wir müssen seineLaune auf-
bessern.» Der präsidiale Liebesbeweis
ist natürlich nicht uneigennützig. Ferrari
braucht die ErfahrungVettels, um die
eher missglückteFahrzeugkonstruktion
für daskommendeJahr wieder auf ein
stabiles, vor allemaber höheres Niveau
zu bringen. Leclerc ist dafür zu sehr mit
sich selber beschäftigt. DerTeamchef
Mattia Binotto setzt auch darauf, dass
sich die Rivalität der beiden leistungs-
fördernd auswirken wird.
Mit allenWassern gewaschen
Nach aussen hin soll Harmonie herr-
schen, doch die hat einen tiefen Riss, seit
Leclerc im chaotischen Qualifying vor
zweiWochenVettel den versprochenen
Windschatten verweigerte.Inder inter-
nenAussprache habe er sich erklärt, sagt
Leclerc, dem die Sünde von Binotto zu-
vor schon öffentlich erlassen worden
war. DochVettel wird sich dieRespekt-
losigkeit gut gemerkt haben. Sein junger
Widersacher aber besitztTalent in vie-
lem, und er lernt schnell, auch die Psy-
cho-Tricks.
Der Monegasse versucht in Singapur
tunlichst den Eindruck zu vermeiden,
er fühle sich beiFerrari bereits als neue
Nummer eins. Er spricht vielmehr von
Chancengleichheit. Mal helfe erVettel,
mal dieser ihm: «Man muss mehrTeam-
player seinals Egoist, das zahlt sich am
Ende aus.»Das klingt vielleicht netter,
als es gemeint ist. Es ist ein trügerischer
Friede in einem schwelendenKonflikt.
REUTER
S/EPA
Charles Leclerc
Fahrer beiFerrari
SebastianVettel
Fahrer beiFerrari