52 SPORT Samstag, 21. September 2019
Lausannedominiert diePartie gegendie ZSC Lions,
dochdie Zürcher schiessen die Tore – 5:0 SEITE 50
YBempfängt den FCBasel –der Meister aus Bernist
seit dem 7:1 vor einem Jahrverletzlicher geworden SEITE 51
«Ich werde als alter Spieler bewertet»
This is your Captain speaking: Nach den Wirren Anfang September sagt Stephan Lichtsteiner im Gespräch mit Samuel Burgener, dass
das verjüngte Schweizer Fussball-Nationalteam im gegenwärtigen Lernprozess noch et was vonseiner Erfahrung brauchen könne.
Der vergangene Dienstag in der Agglo-
meration vonAugsburg,Bayern. Eine
Loge in der modernen WWK-Arena des
Bundesligaklubs FCAugsburg. Stephan
Lichtsteiner, 35Jahre alt und der Cap-
tain des SchweizerFussball-National-
teams, hat ein Morgentraining und ein
Mittagessen hinter sich. Er trägt Sport-
kleider;amNachmittag wird er noch ein-
mal trainieren. Seit einem Monat spielt
er für den FCAugsburg, der vom Ober-
walliser Martin Schmidt trainiert wird.
Es ist nach GC, Lille, Lazio, Juventus
und Arsenal die sechste Station in der
wohl besten Karriere, die je ein Schwei-
zerFussballer geschafft hat.
Der September-Zusammenzug des
Schweizer Fussball-Nationalteams ist
knapp zweiWochen her. Die Absage des
Spielmachers Xherdan Shaqiri und die
damit verbundene schlechteKommu-
nikation desVerbands hatten fürAuf-
regung gesorgt. Lichtsteiner war für die
Spiele gegen Irland und Gibraltar über-
gangen worden. Der Nationaltrainer
VladimirPetkovic gab als Grundan, dass
Lichtsteiner den Grossteil der Saison-
vorbereitung nicht im Klub absolviert
habe. Lichtsteiner hat den Entscheid von
Petkovic akzeptiert, aber deutlich gesagt,
dass dieTeilnahmeander EM 2020 wei-
terhin ein grosses persönliches Ziel sei.
Der Saisonstart mitAugsburg war
durchzogen für Lichtsteiner. Beim 1:1
im Startspiel gegen Union Berlin spielte
er über 90 Minuten, obschon er zuvor
nur wenigeTage mit demTeam trainiert
hatte. Bei der 2:3-Niederlage gegenWer-
der Bremen wurde er nach 34 Minuten
mit einer gelb-roten Karte desFeldes
verwiesen. Am Samstag spielt der FC
Augsburg auswärts inFreiburg.
Stephan Lichtsteiner, als beim letzten
Zusammenzug des Nationalteams viel
Aufregung entstandenwar, gaben Sie
mehrere Interviews. Haben Sie sich be-
wusst in dieDebatte eingeschaltet?
Ich war weit weg.Aber ich habe die
Spiele und das Drumherum natürlich
verfolgt. Ich wurde mehrfach angefragt
und bin denWünschen nachgekommen.
Sie haben es sehr gut gemacht. Sie haben
denTrainer VladimirPetkovic und den
Abwesenden Xherdan Shaqiri gestützt.
Ich habe nicht einfach etwas erzählt,
um jemanden zu stützen. Sondern weil
ichgewisse Dinge klarstellen oder ge-
nau erläutern wollte. Ich war enttäuscht,
dass ich nicht aufgeboten wurde.Aber
ichakzeptierte den Entscheid. Es gab
kein Problem.VladimirPetkovic hat mir
gegenüber immer offenkommuniziert.
Es war wichtig, dass ich das sagte.
Wie sehen Sie mit etwas Abstand den
Fall Shaqiri?
Shaqiri kam von einerVerletzung. Man
darf es ihm nicht übelnehmen, wenn er
sich auf seinen Klubkonzentriert, um
dort mehr Spielzeit zu erhalten. Ich
habe jahrelang mit Shaqiri gespielt und
ihn immer als sehr positiven Menschen
wahrgenommen. Er war immer gerne im
Nationalteam und hat viel geleistet.
Durchaus. Und trotzdem ist die Ge-
schichte heikel.
Wenn es um dieVerletzung geht, finde
ich eineAbsage überhaupt nicht heikel.
Es ist besser,zuerst mit dem Klub gut zu
trainieren, als mitRückstand zum Natio-
nalteam zureisen und sofort zu spielen.
Es ist klar, dass Sie nicht alles zu Sha-
qi ri erzählen dürfen. Aberals Captain
wissen SieBescheid,was loswar. Oder?
Shaqiri wollte sich auf den Klubkonzen-
trieren. Mehr gibt es nicht zu sagen.
Granit Xhaka offerierte Shaqiri in
einem Interview quasi die Captain-
Binde. Doch der Captain sind offiziell
no ch immer Sie.Wie dachten Sie über
diese Situation?
Diese Captain-Binde, herrje. Sie scheint
unglaublich wichtig in der Schweiz. Ich
findesie nicht wichtig.Wir haben in
unserem 23-Mann-Kader mindestens
zehn Spieler, die Captain seinkönnten.
Es geht nicht um die Binde, sondern
darum,Verantwortung zu tragen. Mit
oder ohne Binde.
Warum ist es um das Schweizer Natio-
nalteam immer wieder unruhig?
Die Unruhekommt oft von aussen. Es
wird seitJahren sehr viel an dasTeam
herangetragen,und dasTeam muss dann
damit klarkommen. Natürlich machen
wirFehler. Und dann versuchen wir, sie
zu erklären und daraus zu lernen. Aber
wir haben schon das Gefühl, dass oft
versucht wird, Unruhe zu stiften.
Nun ja.
Doch. Momentan istesähnlich.Das
Teamkann nicht inRuhe arbeiten.
Schauen Sie: Der SchweizerischeFuss-
ballverband hat einen neuen Präsiden-
ten, einen neuen Generalsekretär, einen
neuen Nationalteam-Manager und bald
einen neuen Medienchef. Dazu fand ein
sportlicher Umbruch statt.Vier wich-
tige Spieler mit viel Erfahrung verlies-
sen dasTeam;sie hatten es jahrelang ge-
prägt und vor vielem beschützt. Es gab
eineVerjüngung.Und einenWechsel
des Spielsystems. Es ist normal, dasses
da Schwierigkeiten gibt. DieResultate
waren im letztenJahr nicht mehr so gut
wie in den vierJahren zuvor.Aber da
waren dieResultate auch brutal gut ge-
wesen.Wir waren für SchweizerVerhält-
nisse auf einemTop-Level.Esist schwie-
rig, so etwas zu toppen.Dann geben
wir in den Qualifikationsspielen gegen
Dänemark und Irland einenVorsprung
aus der Hand.Das ist dann natürlich
Futter für die Medien. Aber fürunser
verjüngtesTeam ist es einTeil des Lern-
prozesses. Es gehört dazu.
Man müsste dasTeam in einersolchen
Phase doch besser schützen. ZumBei-
spielmitbessererKommunikationsei-
tens desVerbands.
Was bedeutet bessereKommunikation?
Das ist ein abstrakter Begriff. In jedem
Nati-Zusammenzug stehen viele Spie-
ler und Staff-Mitglieder für Interviews
zurVerfügung. Manchmal sehen wir die
Dinge einfach anders als etwa dieJour-
nalisten.Wir wissen schon, was in unse-
rem Innern passiert.
Auf dasBeispiel Shaqiri bezogen: Die
Medien hatten nach der Pressekonfe-
renz keine Ahnung, was genau los ist:
psychische Probleme, reine Unlust,
Streitereien mit demVerband?
Shaqiri hat doch gesagt, dass er sich im
Moment auf denVereinkonzentrieren
möchte. Das ist für mich klareKommu-
nikation.Das müssen dieJournalisten
akzeptieren.
Hat es dasTeam in der öffentlichen
Wahrnehmung manchmal schwer, weil
es viele verschiedene Herkunftsländer,
Mentalitäten und Sprachen vereint?
Nein, das glaube ich nicht. Unsere
Mannschaft wird auch nach den Ge-
schehnissen an der WM mehrheitlich
positiv gesehen. Schliesslich geht es um
dieResultate. Und die sind noch immer
gut.Auch wenn das vergangeneJahr
schwieriger war. Das Team ist intakt und
weiss, woran es arbeiten muss. Wie ge-
sagt:Wirbefinden uns nach sehrvielen
Wechseln in einem Prozess.
Im Frühjahr 2015 hatten Sie mit Inter-
views für vielAufregung gesorgt.Ihnen
wurde ein Gesinnungsproblem vor-
geworfen.Danach jedoch hat sich im
Nationalteamvieleszum Guten gewen-
det. Sehen Sie sich im Nachhinein be-
stätigt?
Damals war es wichtig, dass wir uns zu-
sammenrauften.Dass wir unsere Egos
zurückstellten und einander halfen. Ich
hätte mir schon gewünscht, dass meine
Äusserungen damals differenzierter und
fairer dargestellt worden wären. Aber
hauptsächlich interessierte mich das
Team. Und da wusste ich, dass es nötig
war, etwas zusagen.Danach passierte
eine sportliche Entwicklung, die heraus-
ragend war. Das sagt eigentlich alles.
Fehlt demTeam manchmal die Anerken-
nung für diese Leistungen?
Mag sein, dass der eine oder andere
Spieler so fühlt. Aber schliesslich geht
es nicht um Anerkennung für uns Spie-
ler. Sondern umResultate und darum,
dass die SchweizFreudean uns hat.
Manchmal wirkt es,als ziehe dasTeam
Kraft aus einer Abwehrhaltung.
Wir wollen garkeine Abwehrhaltung
gegenJournalisten und die Öffentlich-
keit einnehmen.Wirwollen uns erklä-
ren. Unsere Meinung sagen.Wir wol-
len unseremLand Spass bereiten. Aber
wenn einemWörter im Mund umge-
dreht und irgendwelche Stricke gedreht
werden, zieht mansichautomatisch zu-
rück, um sich zu schützen. Ich hoffe, dass
wir offen bleiben.Dass wir uns erlauben
können, offen zu bleiben.
Sie haben gesagt, dass Sie unbedingt
wieder dabeiseinwollen im National-
team. Und wirken sehr entspannt.Wo-
her kommt diese Ruhe?
Ich bin sehr glücklich und zufrieden
im Leben. Und mir macht derFussball
grossen Spass.
Sie sind natürlich auch so ruhig, weil
IhreKonkurrenten nicht überzeugten in
den letzten Spielen.
Nein, überhaupt nicht. Ichkonzentriere
mich nur darauf, was ich beeinflussen
kann. Und das sind die eigenen Leis-
tungen. Ichschaue nicht nach links oder
rechts. Ich gebeVollgas auf dem Platz.
IhrTrainer Martin Schmidt sagt, Sie
seien fit wie ein 20-Jähriger.
Ich hätte gerne die Schnelligkeit meines
20-jährigen Ich zurück (lacht). Aberja,
ich fühle mich sehr fit.
Sie haben einmal von der Bürde des
Alters gesprochen. Was genau ist die
Bürde des Alters?
Es geht darum, dass man von aussen
als alt angesehen wird. Ich werde als al-
ter Spieler bewertet.«Erist zualt, er
ist durch, jetzt wollen wir einenJun-
gen sehen»,das sind dieKommentare.
Ein Phänomen des Spitzensports. Ich
kämpfe in jedemTr aining dafür, dass
nur meine Leistungen bewertet werden.
In der Shaqiri-Debatte ist dieFrage ent-
standen, wie man sich heutzutage für
das Nationalteam motiviert.Wie moti-
vieren Sie sich?
Es geht nicht um mich. Es geht um mein
Team, meinLand. Ich will unbedingt,
dass meinLand an der EM dabei ist.
Und dann stellt sich für mich dieFrage:
Kann ich demTeam noch etwas geben?
Können Sie?
Ich spüre,dass dasTeam noch etwas
von meiner grossen Erfahrungbrau-
chen kann.
Es gabKommentare von verschiedenen
Seiten, dass dasTeam mit Ihnen dieVor-
sprüngegegenDänemark undIrland
über die Zeit gebracht hätte.
Ein 1:0 in Irland kann man immer aus
der Hand geben.Das 0:3 gegenDäne-
mark war schlimmer.Aber 2013 führ-
ten wir gegen Island zu Hause 4:1, kas-
sierten dann dreiTore. Und wäre das
Spiel noch länger gegangen, hätten wir
verloren.Das sindRückschläge in einer
Entwicklung.Völlig normal. Meine Er-
fahrung hilft, dieRückschläge einzu-
ordnen, die Lehren daraus zu ziehen
und die Entwicklung weiter zu fördern.
Meine Erfahrung kann ab und zu auch
helfen, die Gefahr vonRückschlägen
rechtzeitig zu erkennen, darauf hinzu-
weisen und so präventiv einen Schaden
zu vermeiden.
Sie spielen und leben nun seit einem
Monat inAugsburg.Wie geht es Ihnen?
Gut.Ein tollesTeam, eine tolle Stadt.
Ich bin grössereVereine gewohnt, war
aber positiv überrascht. Die Bundes-
liga ist eine Herausforderung. Ich bin
Deutschschweizer, da verfolgt man als
Kind die Bundesliga. Die Stadien sind
grossartig und immer voll.Das sport-
liche Niveau ist hoch.
Welche anderen Optionen prüften Sie
im Sommer?
Ich bin bald 36Jahre alt. Ich wusste,
dass ich in einemTopklub wohlkeine
Hauptrolle mehr spielen würde.Die
Frage war dann, ob ich Ergänzungsspie-
ler sein odereine Hauptrolleeinnehmen
wollte. Fürmich war klar: Eine Haupt-
rolle.Augsburg passte perfekt.Auch mit
der Nähe zur Schweiz.
Sie sagten, dass Sie aufToplevel abtreten
wollen.War die Schweizer Super League
je eine Option?
Ich habe immer gesagt, dass ich nicht
mehr in der Schweiz spielen würde.
Aber im Sommer habe ich dann darüber
nachgedacht und Optionen geprüft. Die
Prioritäten verändern sich.Auch wegen
derFamilie. Doch dann habe ich gesagt,
dass ich nochmals auf das höchstmög-
liche Level will. Die Bundesliga ist nach
der Ligue 1, der Serie A und der Pre-
mier League eine weitere tolle Erfah-
rung. Ein Privileg.
Will unbedingt wieder für das Nationalteam spielen: Stephan Lichtsteiner. KRIEGER/IMAGO
EM-Qualifikation, Gruppe D
- Oktober 15. Oktober
Dänemark - Schweiz Schweiz - Irland
In Kopenhagen In Genf - Irland 5/11 4. Georgien 5/4
- Dänemark 5/9 5. Gibraltar 5/0
- Schweiz 4/8
«Wir wollen keine
Abwehrhaltung
gegen Journalisten
einnehmen.Wir wollen
uns erklären. Unsere
Meinung sagen.»