Neue Zürcher Zeitung - 21.09.2019

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6INTERNATIONAL Samstag, 21. September 2019


Galionsfigur der fr anzösischen Link en steht vor Gericht


Jean-Luc Mélenchon, der Frakti onsvorsitzende von La France inso umise, muss sich wegen Behinderung von Polizeibeamten verantworten


RUDOLFBALMER,PARIS


Wegen der Beschimpfung von Beam-
ten und wegen Behinderung einer poli-
zeilichenDurchsuchung der Büros der
LinksparteiLaFrance insoumise (LFI)
mussten sich am Donnerstag undFreitag
derParteigründer und AbgeordneteJean-
Luc Mélenchon sowie fünf weitere LFI-
Mitglieder vor Gericht verantworten. Sie
protestierten ihrerseits gegen eine «politi-
sche Instrumentalisierung» derJustiz und
versuchten, den Gerichtssaal in ein politi-
schesTr ibunal zu verwandeln.


Handgemenge mitBeamten


«LaRépublique, c’est moi!», hat der
Abgeordnete und ehemalige Präsi-
dentschaftskandidat der linken Par-
teiLaFrance insoumise (Das unbeug-
sameFrankreich),Jean-Luc Mélenchon,
einem stoisch reagierenden Polizei-
beamten vor einer laufendenFernseh-
kamera ins Gesicht geschrien.Das war


am16.Oktober 2018. Nach einer Haus-
durchsuchung im Domizil des LFI-
Gründers war diePolizei am frühen
Morgen bei derParteizentrale erschie-
nen, um imRahmen einer gerichtlichen
Voruntersuchung wegen desVerdachts

auf illegale Finanzierung der Wahl-
kampagne von 20 17 allfälliges Belas-
tungsmaterial sicherzustellen.
Mélenchon protestierte, hielt das
Vorgehen für völlig unverhältnismäs-
sig und pochte lautstark auf seinRecht,
dieDurchsuchung überwachen zu dür-

fen. Mit seiner pathetischen Berufung
auf den Status einesVolksvertreters der
Republik, die inFrankreich seltsam an
das selbstherrliche «L’Etat, c’est moi»
des absolutistischen Sonnenkönigs Louis
XIV erinnert, hatte Mélenchon freilich
gar nichts erreicht. Es kam im Gegenteil
zu einem Handgemenge mit den Beam-
ten und einer Eskalation der Beschimp-
fungen – die ihn zusammen mit fünfPar-
teikollegen vor das Strafgericht imPari-
serVorort Bobigny gebracht haben.
Im zweitägigen Prozess lautete die
Anklage auf «Einschüchterung eines
Richters sowieWiderstand und Provo-
kationgegen Polizeibeamte». Darauf
steht inFrankreich eine Höchststrafe
von zehnJahren Haft und eine Busse
von 150000 Euro.Nacheinem rhetori-
schen Schlagabtausch zwischen den An-
geklagten und den Anwälten der zivi-
len Nebenkläger – dreizehnPolizisten
und ein Richter, die Schmerzensgelder
verlangen – hat dieStaatsanwaltschaft
schliesslich für Mélenchon drei Monate

Haft auf Bewährung und 10 000 Euro
Busse beantragt und geringere Geld-
strafen für die anderen Beschuldigten.
Das Urteil wurde zur Beratung ausge-
setzt und soll später verkündet werden.
Mélenchon sprach nach dem Antrag der
Anklage bereits von einem Erfolg. «So
einTheater für nichts», meinte trium-
phierend derWortführer der Links-
partei, der mit seiner vehementen An-
sprache seinemRuf eines selbsternann-
tenVolkstribuns gerecht wurde.

Linke Unterstützung verscherzt


Vor seinem Prozess hatte er den frü-
heren brasilianischen Präsidenten Lula
da Silva in seinem Gefängnis besucht
und dabei eine internationale Kampa-
gne gegen eine «Lawfare», eine institu-
tionelle Instrumentalisierung derJus-
tiz, gestartet, mit der Oppositionelle in
verschiedenenLändern (wie namentlich
er oder Lula) zum Schweigen gebracht
würden. Mit der pathetischen Art, sich

als Opfer einerWillkür aufzuführen, hat
sich Mélenchon selbst die eigentlicher-
wartete Unterstützung von Gesinnungs-
freunden und linken Medien verscherzt.
Dabei gab es ernsthafte Gründe, dasVo r-
gehen derJustiz in seinemFall infrage
zu stellen. So wurde die gerichtlicheVor-
untersuchung gegen LFI und ihren Grün-
der aufgrund der Klage einer ehemaligen
Europaabgeordneten desrechtsextre-
menFront national eingereicht.
Berechtigt ist ausserdem dieFrage,
wie unabhängig die französischeJustiz
von der Staatsmacht ist.Tr otz mehreren
Reformen sind die Staatsanwaltschaf-
ten hierarchisch demJustizministerium
untergeordnet. In diesem Zusammen-
hang hat die Zeitung «Le Monde» daran
erinnert, dass «95,8 Prozent der heutigen
Richter» von derRegierung nominiert
wurden. EineVerfassungsrevision dazu
ist von Präsident Emmanuel Macron ge-
plant, umdie Gewaltentrennung zu ver-
bessern. Sie stehtaber weiterhin auf der
parlamentarischenWarteliste.

Vorwurf des Amtsmissbrauchs gegen Trump


Das Weisse Haus soll Militärhilfe für die Ukraine aus wahltaktischen Gründen zurückgehalten haben


PETER WINKLER,WASHINGTON


Es warJuni, als das amerikanischeVer-
teidigungsministerium bestätigte, die
vom Kongress bewilligte Militärhilfe
imWert von 250 Millionen Dollar zu-
gunsten der Ukraine werde auchWaf-
fen enthalten. PräsidentTr ump, mach-
ten seine Anhänger klar, habe damit
bewiesen, dass er nicht am Gängelband
Russlands agiere. Nur waren die Gelder
zweieinhalb Monate später immer noch
blockiert. Erst ein parteiübergreifendes,
lautes Murren im Senat vermochte das
Weisse Haus in der letztenWoche dazu
zu bewegen, die Hilfe freizugeben.


PolitischeGegner imVisier


Laut den neustenVorwürfen inWashing-
ton war es nicht etwa eine heimliche Loya-
litätTr umps gegenüber Moskau, die für
dieVerzögerung verantwortlich war, son-
dern ein wahltaktisch motiviertes Erpres-
sungsmanöver.Sollten die Anschuldigun-
gen zutreffen, wäredas natürlich immer
noch ein Skandal.Aber der würde nicht
mehr direkt die geopolitische Macht-
balance betreffen,sondern «nur»die un-
appetitliche Schattenseite der demokra-
tischenAuseinandersetzung in den USA.
WasTrump mehr oder weniger unverhoh-
len vorgeworfen wird, lautet so: Der Präsi-
dent und seine Mitstreiter sollen der ukrai-
nischen Regierung nahegelegt haben,
alten Korruptionsvorwürfen nachzu-
gehen, die unter anderem auch dieFami-
lie des demokratischen Präsidentschafts-
bewerbersJoe Biden betreffen.Wie offen
dieserWunsch mit derFreigabe der Hilfe
verknüpft wurde, ist unklar, aber manch-
mal helfen in solchenLagen ja bereits An-
deutungen – vor allem dann, wenn die be-
troffeneRegierung nach Gründen sucht,
welche die Blockierung der Hilfe verur-
sacht habenkönnten.
Besonders engagiert haben soll sich
bei diesem ManöverRudy Giuliani, der
gelegentlicheRechtsbeistandTr umps.
Er soll telefonisch und persönlich mit
ukrainischenFührungsfiguren gespro-
chen haben, umTr umps Anliegen vor-
zutragen. Am Donnerstagabend gab er
dies in einem Interview mit CNN auch
offen zu: «Natürlich tat ich es», antwor-
tete er auf dieFrage, ob er die Ukraine
gebeten habe,Joe BidensRolle im an-
geblichenKorruptionsskandal zu unter-
suchen. In einer Twitter-Nachricht
machteer später klar, dass es auch völ-
lig in Ordnung wäre,wennTr ump das
Gleiche vom ukrainischen Präsidenten
Wolodimir Selenski gefordert hätte.
Damit zog Giuliani selber eine direkte
Verbindung zu einer anderen Affäre,
dieWashington seitTagen beschäftigt.
Es geht dabei um die Beschwerde eines
ungenannten Geheimdienstmitarbei-


ters, der in mindestens einem abgehör-
tenTelefongesprächTr umpsmit einem
ausländischen Staats- oderRegierungs-
chef gehört haben will, dass der Präsi-
dent ein unzulässigesVersprechen ab-
gegeben habe. Laut anonymen Quel-
len soll es dabei um die Ukraine gegan-
gen sein. Die Beschwerde landete beim
Generalinspektor der Geheimdienste,
der sie offenbar für glaubwürdig hielt.
Rasch fanden die Medien eine ukrai-
nische Abschrift einesTelefongesprächs
zwischen Tr ump und Selenski vonEnde
Juli. Darin sagteTr ump, dieneue ukrai-
nischeRegierung werde doch sicher be-
müht sein,Korruptionsaffären aufzu-
klären und damit die bisher beeinträch-
tigten Beziehungen zu den USA zu ver-
bessern.Trump hat die Medienberichte
über seinangebliches unangemessenes
«Versprechen» als «lächerlich» abgetan.
«Es war ein vollkommen angemessenes
Gespräch»,sagte er amFreitag.

«Unzulässige Zusage»


Die Beschwerde des Geheimdienstmit-
arbeiters kam ans Licht, als derKon-
gress von ihrWind bekam.Adam Schiff,
der demokratischeVorsitzende der Ge-
heimdienstkommission imRepräsentan-
tenhaus, warf daraufhin dem amtieren-
den GeheimdienstkoordinatorJoseph
Maguire vor, er habe es entgegen sei-
ner gesetzlichenVerpflichtung unter-
lassen, die Geheimdienstkommissionen
desKongresses von der Beschwerde zu
unterrichten.Damit warf Schiff Maguire
indirekt vor, er wolle denVersuch des
Präsidenten decken, die amerikanische
Aussenpolitik alsVehikel seinesWahl-
kampfs zu missbrauchen.Joe Biden ist
schliesslich der Spitzenreiter unter den
demokratischen Präsidentschaftskandi-
daten, und gemäss den aktuellen, wenn
auch sehr frühen Umfragen würde er
Tr ump in derWahl deutlich schlagen,
mit mehrals zehn ProzentVorsprung.
Laut der «NewYork Times» liess
MaguirevomJustizministerium abklären,
ob er gesetzlich verpflichtet wäre,den
Kongress über den Inhalt der Beschwerde
zu unterrichten.Das Ministerium kam zum
Schluss, dass diese Informationspflicht
nur auf Beschwerden anwendbar sei, die
dasFunktionieren, dieAufsicht oder die
Finanzierung des Geheimdiensts betref-
fen. Gleichzeitig liessesdemWeissen Haus
Informationen über die Beschwerde zu-
kommen, weil Gespräche desPräsidenten
der Geheimhaltung unterliegenkönnten.
Das Thema wirdWashington noch
weiter in Atem halten. Es sind nicht
mehr nur die Demokraten, dieAufklä-
rung wollen. Mittlerweile ist auch die
Geheimdienstkommission des Senats
auf den Plan getreten. Sie funktioniert
immer noch parteiübergreifend.

Deramerikanische Pr äsidentDonald Trump wirdeines Erpressungsmanövers beschuldigt. H. MCKAY / REUTERS

Famili e Bidens undurchsichtige Ukraine- Connection


mac. Moskau· Der frühere amerika-
nischeVizepräsidentJoe Biden wird
auf zweifacheWeise mit der Ukraine
inVerbindung gebracht:als Zuständi-
ger derAdministration Obama für das
nach dem Maidan-Umsturz 20 14 auf
ausländische Hilfe angewieseneLand
und wegen beruflicher Interessen sei-
nes Sohnes Hunter im ukrainischen
Energiesektor. Seit diesemFrühjahr ist
dieses eigentlich längst vergessen ge-
glaubte Kapitel in der Ukraine plötz-
lich wieder zumThema geworden, weil
DonaldTr umps AnwaltRudy Giuliani
versuchte,die Wahl Wolodimir Selenskis
zum Präsidenten für seineRänkespiele
auszunutzen.
2018 hatte Biden an einerVeranstal-
tung stolz erzählt, wie dank seiner Inter-
vention 20 16 der ukrainische General-
staatsanwaltWiktor Schokin entlassen
worden sei – er habe dieAuszahlung
eines amerikanischen Milliardenkredits
an die Ukraine davon abhängig ge-
macht. «Der Mistkerl wurde entlassen»,
resümierte er mit einemLachen. Giu-
liani und mitihm der mittlerweile ab-
gelöste, aber um seineWiederernen-

nung kämpfende Generalstaatsanwalt
Juri Luzenkosuggerierten in diesem
Frühjahr jedoch, Biden habe Schokins
Entlassung verlangt, weil dieser gegen
das Energieunternehmen Burisma und
dessenVerwaltungsräte ermittelt habe.
Unter diesen war auch Hunter Biden,
der 2014, kurz nach derRevolutionin
Kiew, zu derFirma gestossen war.
Tatsächlich hatte damals die Gene-
ralstaatsanwaltschaft Ermittlungen

gegen Burisma aufgenommen. Das
Unternehmen war von Mykola Slo-
tschewski gegründet worden, der zeit-
weise unter dem 20 14 gestürzten Prä-
sidentenWiktorJanukowitsch als Um-
weltminister tätig gewesen war und bis
zuletzt zu dessen engerem Umfeld ge-
hört hatte. Die Ermittler verdächtigten
Slotschewski und Burisma, dieVerbin-

dungen zum Staat unrechtmässig ausge-
nutzt zu haben. DieVerfahren schliefen
aber noch vor Schokins Amtsantritt ein


  • dieser sollkein Interesse an demFall
    gezeigt haben.
    Der ukrainische Energiesektor ist
    von undurchsichtigen Akteuren besetzt.
    Auch der Expansionskurs von Burisma,
    dessen Eigentümerschaft zeitweise un-
    klar war,warf verschiedeneFragen auf.
    Dass sich in diesemFrühjahr plötzlich
    Luzenko wieder für denFall zu interes-
    sieren begann und im Mai ein angeblich
    geleaktes Dokument aus der General-
    staatsanwaltschaft dieRunde machte,
    wonach dieseJoe Biden verdächtigt,
    von Slotschewski illegal begünstigt wor-
    den zu sein, hatte mit Luzenkos Macht-
    willen zu tun. Er wollte sich beiTr ump
    und Giuliani einschmeicheln und hoffte,
    Selenski so unter Druck setzenzukön-
    nen, ihn im Amt zu belassen.Dass auch
    Tr umps zeitweiligerWahlkampfmana-
    gerPaul Manafort über einen mit der
    Ukraine verbundenen Skandal stol-
    perte,spielte dann plötzlich auch wie-
    der eineRolle. LuzenkosRechnung ging
    aber nicht auf.


Jean-Luc Mélenchon
Gründer derPartei
EPA LaFrance insoumise

NeueMunition
für Trumps Gegner
Kommentar auf Seite 11
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