Neue Zürcher Zeitung - 21.09.2019

(nextflipdebug5) #1

Samstag, 21. September 2019 MEDIEN 9


IN MEDIAS RAS


Hast du


eine Zeitun g,


bist du jemand


Rainer Stadler· Ein gequälter Seufzer
war am Dienstag unter Medienleuten zu
vernehmen.Warum, um Himmels willen,
jemand heutzutage noch einen Presse-
verlag kaufe, fragten einige, als sie die
Nachricht hörten, ein Unternehmer-
paar wolle die «Berliner Zeitung» er-
werben. Zweifellos gäbe esrentablere
Investitionsobjekte. Doch Silke und
HolgerFriedrich, die künftigen Eigen-
tümer, stehen mit ihrem Engagement
keineswegs als Exoten da. Die Krise der
Presse hat etliche Quereinsteiger ange-
lockt,die in anderen Industriezweigen
zu Geld kamen.
Das prominenteste Beispiel ist die
«WashingtonPost»,wo imJahr 2013 der
Amazon-Gründer das Steuer übernahm
und dieratlose Besitzerfamilie von ihren
Sorgen befreite. JeffBezos wieauch
HolgerFriedrich sind imTechnologie-
sektoraufgestiegen; dasselbe gilt für
denTech-Milliardär Marc Benioff, der
den Cloud-Computing-Anbieter Sales-
force aufbaute und vor einem Jahr
das«T ime Magazine» kaufte. Oder die
Witwe des Apple-Mitbegründers Steve
Jobs, die dasPolitikmagazin«T he Atlan-
tic»kontrolliert sowie bei den Medien
«Axios», «Pop-up» und «Sunday Maga-
zine» einstieg.
Die Neureichen des IT-Sektorskön-
nensich das nicht nur leisten, ihre En-
gagements beruhen auch auf einer
industriellen Logik. Die technischen
Entwicklungen trieben die klassischen
Medienanbieter in die Krise, die nun
vomWissen und von den Marketing-
fähigkeiten der neuen Besitzer profitie-
ren können.
Es interessieren sich nicht nur IT-
Unternehmer für die Medienbranche


  • Millionäre und Milliardäre aus ande-
    renrentablen Branchen zeigen eben-
    falls ein Herz für denJournalismus. Der
    im Pharmasektor aufgestiegene Chir-
    urgPatrick Soon-Shiong erwarb An-
    fang 2 01 8 die «Los AngelesTimes».
    In der Schweiz unterstützt dieRoche-
    Erbin Beatrice Oeri alternative Medien-
    angebote, Christoph Blocher wurde zum
    Grossverleger von Gratisblättern.
    InParisrettete vor vierzehnJahren
    der Privatbankier Edouard deRoth-
    schild das im linksalternativen Milieu
    geborene Blatt «Libération» vor dem
    Untergang.Er ist dessen Hauptaktionär.
    Bei der kriselnden, lange Zeit selbstver-
    walteten «Le Monde» übernahmen 2010
    der Modeunternehmer PierreBergé,
    derBanker Matthieu Pigasse sowie der
    Internetunternehmer Xavier Niel das
    Steuer. Nun ist dieRedaktion inAuf -
    ruhr, weil sichder im Handels- und im
    Energiebereich aufgestiegene Tscheche
    Daniel Kretinsky einkaufte. Die Beleg-
    schaft sieht dieredaktionelle Unabhän-
    gigkeit in Gefahr.
    Nach demFall der Mauer entdeckten
    auch Oligarchen ihre Liebe zur Medien-
    branche. DerRusse Alexander Lebedew
    etwa übernahm die defizitärebritische
    Zeitung«T he Independent» und erwarb
    den Londoner «Evening Standard».
    AlexanderPugatschew wiederum enga-
    gierte sich beim Blatt «France Soir».
    Im Osten eroberten Oligarchen
    ohnehin eine starkePosition im Medien-
    sektor – klar mit der Absicht, politischen
    Einfluss zu gewinnen. In dendemokra-
    tischen Staaten desWestens machen die
    Neuverleger gemeinnützige Motive gel-
    tend. Sie wollen dazu beitragen, die Ge-
    sellschaften mit verlässlichen Informa-
    tionen zu versorgen. Bei einigen Inves-
    titionen spielen gewiss Eitelkeit und
    Eigeninteresse mit.Wer Medien besitzt,
    gewinnt Glanz und Gloria, verschafft
    sich den Nimbus von Macht.Dafür ver-
    zichtet man auf hoheRenditen. Die
    Marktgesetze werden aber auchMäzene
    nicht ignorierenkönnen.


Heikle Verwirrspiele mit dem Publikum


Die gestalterische Angleichun g von Anzeigen und Redaktionellem gefährdet die Glaubwürdigkeit der Medien


RAINERSTADLER


Kürzlich streckte mir einKollege eine
Zeitungsseite entgegen und fragte, was
mir auffalle. NichtsBesonderes,sagte ich
nach kurzem Hinschauen. Es handelte
sich allem Anschein nach um einen ein-
schlägigen Artikel über zweiReise-Blog-
ger. Ein grosses Bild zeigt sie, wie sie
einenroten, sportlichenWagen verlassen.
Erst beim zweiten, genauen Blick
auf die Seite fiel auf, dass eskein nor-
maler Artikel war, sondern einekom-
merziell inspirierte Publikation. Ersicht-
lich wurde dies ganz oben, wo in klei-
ner Schrift stand:«Tamedia Commer-
cial Publishing,Sponsored, Anzeige von
Mazda».An dieser Stelle stehen sonst
die Seitenzahl und dasDatum derAus-
gabe – eine diskrete Oberzeile, die in
derRegel kaum Beachtung findet. Die
sonstige Gestaltung der Seite glich dem
üblichenLayout des«Tages-Anzeigers»,
wo das Inserat erschien.Rechts unten
war noch ein kleines Inserat desAuto-
herstellers eingeschoben.


GeschwächtePresse


Was heisst:Auch kritische Zeitungs-
leser sind nicht gefeit gegenTr icks der
Medienbranche. Diese beansprucht für
sich, zwischenredaktionellen Beiträgen
undkommerziellen Botschaften klar zu
unterscheiden. Das sogenannteTr en-
nungsgebot wird allerdings ziemlich fle-
xibelinterpretiert. Und es scheint, dass
die Flexibilität gegenüber denWün-
schen vonWerbeauftraggebern noch ge-
stiegen ist, seitdem die Presse mit einem
starken Abfluss vonWerbegeldernkon-
frontiert ist. Entsprechend wächst die
Verhandlungsmacht derWerbekunden.
Das genannte Inserat ging offenbar
auchTamedia zu weit. Auf Anfrage sagte
NicoleBänninger von der Unterneh-
menskommunikation: «Das haben wir
in der Zwischenzeitkorrigiert und bil-
den denVerweis ‹Sponsored› nun wieder
grösser ab.»Auch diese grössereKenn-
zeichnung ist indessen für den Presse-
rat nicht ausreichend. Mitte Mai kriti-
sierte er eine zweiseitige Publikation in
Tamedia-Zeitungen,die Swisscom finan-
ziert hatte. Der imRedaktionslayout er-


schienene Artikel war obenrelativ gross
mit «Sponsored» und darunter klein mit
«Anzeige» überschrieben.Rechts unten
wurde festgehalten, dass der Beitrag vom
Team «commercial publishing» inKoope-
ration mitSwisscomrealisiert worden sei.
Diese Deklaration genügte dem
Presserat nicht. Derkommerzielle Hin-
tergrund sei zu wenig sichtbar gemacht
worden, schrieb das medienethische
Organ.Zudem vermisste esdie Kenn-
zeichnung mit«Werbung».Die Kritik an
derWortwahl ist etwas beckmesserisch.
Zumindest älteren Medienkonsumenten
dürfte der Begriff Anzeige als Hinweis auf
eineWerbebotschaft noch geläufig sein.
Tamedia hält dieTr ansparenz für ge-
währleistet: Man habe «klareWerbe-
richtlinien, und Inhaltswerbung wird
stets transparentalssolche ausgewiesen.

Mit derKennzeichnung ‹Sponsored› so-
wie dem zusätzlichenVerweis ‹Anzeige›
wirdjeweils deutlich deklariert, dass es
sich umWerbung handelt», so Nicole
Bänninger. Zudem bilde man das Logo
desWerbekunden ab, und es stehe, dass
die Seite vonTamedia Commercial
Publishing produziert worden sei.

IgnorierterVerhaltenskodex


Die Medienbranche weiss durchaus,
dass sie hier in einer heiklen Zone
unterwegs ist.Wenn sich im Publikum
derVerdacht der Käuflichkeit und In-
transparenz festsetzt, gefährdet dies die
Glaubwürdigkeit derRedaktionen. Der
Verlegerverband verfasste vor zwölf
Jahren einenVerhaltenskodex. Gemäss
diesem muss für den Medienkonsumen-
ten«immer klar erkennbar» sein, welche

Beiträge inredaktioneller Unabhängig-
keit entstehen und welche Inhaltekom-
merziell beeinflusst, also von Dritten
bezahlt sind.Ferner dürfenAnzeigen
durch ihreGestaltung nicht den Ein-
druck erwecken, sie seienredaktionel-
ler Bestandteil des Mediums. Im Zwei-
felsfall muss dasWerbemittel «klar und
in ausreichender Grösse» entsprechend
gekennzeichnet werden.
Im selben Sinn hält der Presserat
fest: «Inserate,Werbesendungen und
bezahlte oder durch Dritte zurVe r-
fügung gestellteInhalte sind gestalte-
risch vonredaktionellen Beiträgen klar
abzuheben.»Das Gremium hat in den
vergangenenJahren mehrmals Kritik
an den Praktiken in der Branche geäus-
sert. Genützt hat es wenig.
Bei der Beantwortung derFrage, ab
wann eineWerbebotschaftgenügend
klar deklariert ist, nutzen dieVerlage
einen grossen Interpretationsspielraum
aus.Sicher aber begeben sie sich system-
bedingt auf eineGratwanderung, wenn
sie von Dritten finanzierte Beiträge im
Layout derredaktionellen Angebote
zulassen. Manrechnet bewusst mit der
Unaufmerksamkeit des Lesers,der erst
im Nachhinein erkennt, dass er bei der
Lektüre eines jeweiligen Beitrags den
redaktionellen Sektor verlassen hat.

An derNase herumgeführt


DerleiVerwirrspiele, die seit einiger Zeit
unter demTitel NativeAdvertising be-
trieben werden, haben eine langeTr a-
dition. In der vordigitalen Ära hiessdie
vergleichbareWerbeform «Advertorial»
oder «Publireportage». Die entsprechen-
den Artikel pflegen ebenfalls einen jour-
nalistischen, informierenden Stil, der die
Abwehrhaltung des Publikums gegenüber
Werbung minimieren oder überlisten soll.
Produktewerbung ist hier nicht das Ziel;
vielmehr will manAufmerksamkeit schaf-
fen für einThemenfeld, welches die An-
gebote einesAuftraggebers betrifft. Es
ist kaum zufällig,dass die Medienbran-
che in solchenFällen mit englischen Be-
griffen oder ungewohntenWortkreatio-
nen hantiert.Verwirrung gehört zumKon-
zept. Man will das Publikum mehr oder
weniger diskret an der Nase herumführen.

Im Internet ist die Situationnoch
unübersichtlicher als im Printbereich.
Die vielfältigen digitalen Gestaltungs-
möglichkeiten erschweren es denKon-
sumenten zusätzlich, klare Grenzen
zwischenRedaktionellem und Kom-
merziellem zu erkennen. Eine einheit-
licheKennzeichnung über die einzel-
nen Medien hinaus ist kaum erkennbar.
Jedes Medium pflegt eigene Codes. Be-
griffe wie «paid post», «brand studio»
oder «native» scheinen eher dazu zu die-
nen, dieTatsachen zu kaschieren.
Der Umsatz mit gesponserten An-
zeigen ist weit davon entfernt,die
Verlustean Inserateeinnahmenkom-
pensieren zukönnen. Der Anteil von
NativeAdvertisingamGesamtumsatz
mitWerbungliegt beiTamedia laut
eigenen Angaben im einstelligen Pro-
zentbereich. Allerdings ist die Bedeu-
tung von Inhaltswerbeformen inden
vergangenen Jahren stark gewach-
sen, soBänninger. DieserTr end halte
an. Gleichzeitig verlangt die Herstel-
lung von Native-Advertising-Angebo-
ten mehrAufwand, als es bei klassi-
schen Inseraten derFall ist:Letztlich
komme es aber «auf den Umfang und
diekonkrete Umsetzung einer Kampa-
gne sowie die individuellenWünsche
desKundenan».
ImFall des doppelseitigen, im Mai er-
schienenenSwisscom-Inserats fiel über-
dies auf, dass die gesponsertenTexte
auch in der Schweizerischen Medien-
datenbank (SMD) auftauchten, welche
eigentlich nurredaktionelle Beiträge
sammelt – eine gefährliche Gleichstel-
lung. LautTamedia handelte es sich um
einVersehen. Die entsprechendenTexte
wurden entfernt.
Im Grundsatz setzt sich dieWerbe-
wirtschaft ebenfalls für klareVerhält-
nisse ein. Die Schweizerische Lau-
terkeitskommission, das Selbstregu-
lierungsorgan dieser Branche,hält in
ihren Grundsätzen fest: «Kommerzielle
Kommunikation, gleichgültig in welcher
Form sie erscheint oder welches Me-
dium sie benutzt, ist unlauter, wenn sie
nicht als solche eindeutig erkennbar und
vom übrigen Inhalt nicht klar getrennt
ist.»Auch in diesemFall giltdie alteEin-
sicht:Papier ist geduldig.

Auch kritischeZeitungsleser sind nicht gefeit gegenTricks der Medienbranche. PETER NICHOLLS / REUTERS


Eine einheitliche
Kennzeichnung
über die einzelnen
Medien hinaus
ist kaum erkennbar.
Free download pdf