Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Lavinia verzieht das Gesicht. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich
jetzt beleidigt sein sollte.«
»Und gleichzeitig weißt du genau, dass ich Recht habe ...«
»Ich korrigiere mich: nicht auf der Welt. Im ganzen Universum.«
Sie müssen beide lachen.
»Und was habt ihr jetzt vor?«, fragt Lavinia dann.
»Keine Ahnung. Er hat auch noch eine Straftat begangen.«
»Welche?«
»Er hat im zweiten Aufnahmelager eine falsche Identität angegeben. Eine
permanente Aufenthaltsgenehmigung kann er jetzt vergessen.«
»Aber wenn er mit euch verwandt ist ...«
»Dafür gibt es keinerlei Beweise. Sein Vater wurde nie anerkannt. Also
von unserem Vater, meine ich.«
»Was sagen Federico und Emilio dazu?«
»Die wissen es gar nicht.«
»Ihr habt es ihnen nicht gesagt?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Federico von Mexiko aus irgendein
Interesse daran haben könnte. Und Emilio ist für einen Film in Bulgarien,
zwei Monate lang. Was soll er von dort aus schon tun? Sich sinnlos aufregen,
uns mit Telefonanrufen bombardieren, Stress machen. Attilio und ich haben
beschlossen, es ihm zu sagen, wenn er wieder in Rom ist.«
Lavinia hält den Blick fest auf die Stoßstange des Vordermannes
gerichtet und schweigt lange. Dann sagt sie vorsichtig: »Piero würde alles im
Handumdrehen lösen.«
Ilaria antwortet nicht.
Lavinia wendet ihr das Gesicht zu, die Hände fest am Lenkrad. »Ruf ihn
an, Ilaria.«
Ilaria starrt das Auto rechts von sich an, neben dem sie seit fast einer
Viertelstunde stehen. Drinnen sitzt ein Mann mit Headset, schreit und
gestikuliert. Wer weiß, mit wem er streitet.
»Das kommt nicht in Frage.«
Lavinia muss weiter, ihre zwei Jüngsten von der Schule abholen. Ilaria
sitzt noch im Auto, als ihr Handy klingelt. Sie hält am Rand eines Feldes, das
von Wohnblöcken mit illegal angebauten Aluminiumbalkonen gesäumt ist, in
der Mitte eine weidende Schafherde. Sie kramt das Telefon aus der
Handtasche und nimmt den Anruf an. Es ist ihr Halbbruder.

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