langen Ketten um die Handgelenke von einem Soldatentrupp abgeführt wird.
Es handelte sich um den Helden des antikolonialistischen Widerstands, Omar
al-Mukhtar, kurz vor seiner Erhängung durch den Gouverneur der Kyrenaika,
Rodolfo Graziani. Piero erinnerte sich noch gut an dieses völlig fehlplatzierte,
vergilbte Bild an der Brust des Oberst. An die theatralische und befremdliche
Zurschaustellung Gaddafis der zugegeben unstrittigen historischen Schuld
seiner Gastgeber ausgerechnet beim ersten offiziellen Besuch nicht nur
Italiens, sondern eines westlichen Staates überhaupt. Nun konnte man Silvio
Berlusconi einiges nachsagen, wie dass es ihm bei internationalen
Gipfeltreffen an staatsmännischer Ernsthaftigkeit fehlte – auf den offiziellen
Gruppenbildern mit den wichtigsten Staatsoberhäuptern des Planeten wirkte
er häufig wie ein Pennäler beim Klassenfoto –, nicht aber, dass er auf den
Mund gefallen war. So improvisierte er mit seinem unverwechselbaren
Lächeln hinter dem Wald aus Mikrofonen auf dem roten Teppich vor dem
Flugzeug eine Mea-Culpa-Rede zum Thema koloniale Vergangenheit
Italiens, an die sein Freund Gaddafi ihn auf so sympathische und originelle
Weise erinnert habe.
Vielleicht um eine Wiederholung dieser Provokation zu vermeiden, ist
der Ministerpräsident heute nicht am Flughafen erschienen, sondern hat
seinen Außenminister zusammen mit einem Staatssekretär geschickt. Und das
ist er, Piero Casati. Doch dieses Mal zeigt sich der Oberst in der Tür des
Airbus 340 in einer schlichten braunen Galabia unter einem gleichfarbigen
Mantel. Seine weichen Gesichtszüge ähneln denen einer – wenn auch sehr
hässlichen – Frau; sie verziehen sich unter dem zerrupften Bart zu einem
Lächeln, das liebenswürdig sein soll. Was durch die Gangsterbrille
zunichtegemacht wird, hinter der er seine von Viagra und Kokain geweiteten
Pupillen verbirgt.
Rechts und links von ihm seine Leibwächter, wie immer Frauen. Ihre
massigen Körper in engen Tarnanzügen, mit beunruhigend aufgestülpten
Lippen und Doppelkinn. Die Brillen, hinter denen sie ihre Augen verstecken,
sind noch schwärzer als ihre Haare und genau wie die ihres Herrn und
Gebieters. Gebieters in jeglicher Hinsicht, wie gut informierte Quellen
berichten. In diplomatischen Kreisen erzählt man sich, dass die berühmten
Amazonen des Oberst zu seinem umfangreichen Harem aus Sexsklavinnen
gehören, die er eigenhändig aus libyschen Studentinnen auswählt, unter
düsteren Drohungen an jene Eltern, die sich zu widersetzen versuchen, zum
jeff_l
(Jeff_L)
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