Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Luft läuft ihm ein kalter Schauer über den Rücken, als Ilarias Gesicht vor
seinem inneren Auge auftaucht.
»Du bist meine bessere Hälfte«, hatte er vor langer Zeit einmal zu ihr
gesagt.
»Deswegen hältst du mich wohl immer geheim, was?!«, war ihre
Entgegnung. Damals hatte Piero geantwortet: »Du bist doch diejenige, die
mich geheim hält«, doch nun dreht er den Kopf ein wenig weg – nur so viel,
um die Feder eines Carabiniere der Ehrenwache zwischen sich und das
Objektiv zu schieben. ›Nicht, dass sie mich in den Nachrichten neben diesem
Mann stehen sieht.‹
Als die Zeremonie vorbei ist, bewegt sich der Autokorso aus blauen
Polizeiwagen und -motorrädern in rasendem Tempo und mit heulenden
Sirenen dem ersten Programmpunkt des Tages entgegen, der libyschen
Botschaft. Nichts hält ihn auf. Roms Straßen sind leergefegt für die weiße
Limousine mit den geschwärzten Scheiben und dem unsichtbaren Profil des
Oberst dahinter. Zu seinem Schutz sind ganze Wohnviertel durch
Straßensperren abgeschnitten, jenseits derer der Verkehr zu absurden
Umleitungen gezwungen wird und schlimmer wütet als eine
Überschwemmung: Er tritt über die Straßen, führt zu Verstopfungen, ergießt
sich in jede Lücke und jeden Durchgang. Die Römer sind gefangen in einer
Suppe aus glühendem Aluminium, doch die komplexe Operation trifft voll
ins Schwarze. Der persönliche Freund Silvio Berlusconis stößt bei seinen
Ortswechseln nicht auf das kleinste Hindernis.
Ilaria hingegen braucht für die Strecke vom Autoabstellplatz bis zu ihrem
Vater fast zwei Stunden. Im Kreise genervter Autofahrer, die sich gegenseitig
so sinnlose wie zornige Beschimpfungen zuwerfen. ›Typisch Italiener!‹,
denkt Ilaria ermattet, als sie endlich vor dem Haus des Vaters den Wagen
parkt. ›Wir vergeuden unsere Zeit damit, uns gegenseitig anzuschreien,
anstatt mal einen einzigen dieser unwürdigen Machthaber per Revolution aus
dem Amt zu jagen.‹


Vom Himmel fallen die Flocken weiß und leicht wie Schnee, doch sie blöken
wie Schafe.
Es sind Schafe.
Ein Schuss zerreißt die Stille.
Das Fell des einen färbt sich rot. Als es zu Boden stürzt, schaut es mir in

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