Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

die Augen.
»Mamma ...!«, schreie ich.
Der alte Attilio Profeti erwacht unter Tränen, doch er weiß nicht warum.
Vielleicht wegen der unangenehmen feuchten Windel.
Vor ihm steht eine Frau, von der er weiß, dass er sie liebt. Er steckt die
Hand in die Tasche seines Hausanzugs und zieht ein Bonbon hervor. Er gibt
es ihr.
»Für dich, mein Schatz.«
Ilaria nimmt es lächelnd. »Danke.« Beim Auswickeln fragt sie: »Papà,
erinnerst du dich an Abeba?«
Attilio Profeti steckt die Hand erneut in die Tasche und fragt drängend:
»Möchtest du noch eins?«
»Nein, danke. Als du in Äthiopien warst.«
»Äthiopien?«
»Ja. Abessinien, sagte man damals. Sie war eine Frau.«
»Ach ja? Und wo ist sie jetzt?«, fragt er höflich distanziert.
»Sie ist tot.«
»Wie alt war sie, als sie gestorben ist?«
»Keine Ahnung. Ich schätze mal achtzig.«
»Also jünger als ich.«
»Viel jünger, ja.«
Attilio hebt die Faust und zieht triumphierend die Luft durch die Zähne
ein. Kneift voller Zufriedenheit die immer noch schönen Augen zusammen.
Ilaria muss sich zwischen Belustigung und Empörung entscheiden.
Schließlich lacht sie nachsichtig.
»Aber Papà! Das ist doch kein Wettkampf.«
Attilio blickt sie an, scheinbar verblüfft über so viel Unverstand. »Aber
natürlich ist es das.«
Als Ilaria das Haus verlässt, in dem Anita und Attilio Profeti ihre
Wohnung haben, setzt sie sich in den Panda, ohne den Motor anzulassen. Ihr
Kopf ist leer, wie immer, wenn sie bei ihrem Vater war, als würde ein Teil
seiner Demenz auf sie übergehen. Als würde sich ein großer grauer
Wattebausch auf ihre Gedanken pressen. Wer weiß, was er den ganzen Tag
so denkt, wenn er da hilflos wie ein Säugling in seinem Sessel sitzt.
Sie nimmt ihr Handy, um wieder in die Welt der Erwachsenen
zurückzukehren, wo man vernünftig denken kann und einem die Namen von

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