einer Fotoausstellung in der libyschen Botschaft nicht ein einziges Mal seine
strahlend weiße Zahnreihe aufblitzen sehen.
»Stimmt«, nickt Ilaria. »Er ist nicht in Form. Als hätte er wenig
geschlafen.«
»Das ist kein Mann«, meint der Junge. »Das ist ein Teufel.«
Die erste Äußerung des Jungen, seit sie sich zu Tisch gesetzt haben.
Attilio und Ilaria wenden sich ihm zu, fast erstaunt, seine Stimme zu hören.
»Na ja ...«, sagt sie mit erhobenen Augenbrauen. »Ich halte Berlusconi ja
durchaus für ein großes Unheil, aber ein Teufel ...«
»Er meint Gaddafi«, unterbricht sie Attilio.
Nach dem Abendessen geht Ilaria über den Flur und schließt ihre
Wohnungstür auf. Seit Lavinia sie heute morgen abgeholt hat, war sie noch
nicht zu Hause. Sie ist todmüde. Auf der Türschwelle hält sie plötzlich inne,
halb drinnen, halb draußen, und betrachtet ihre kleine Wohnung, als sehe sie
sie zum ersten Mal.
Der rötliche Schein der Stadt, der durch die Fenster fällt, legt sich wie
Gelatine über die Einrichtung, verwischt ihre Konturen. Der Sessel mit den
bunten Kissen, im Halbschatten nur ein paar dunkle Flecken; der Esstisch aus
Holz, den Ilaria von ihren Großeltern aus Lugo geerbt hat, die sie nie
kennengelernt hat, und der für einen Single-Haushalt viel zu sperrig ist; die
schmiedeeiserne Lampe mit Keramikschirm vom Flohmarkt an der Porta
Portese; ihr Bücherregal, ein ewiger Kampf gegen das Chaos, in das sich die
alphabetische Autorenordnung immer wieder aufzulösen droht. Und dann die
Wand, die den Wohnraum vom Schlafzimmer trennt, die Ecke unter dem
Fenster mit dem Schreibtisch, wo sie Hausaufgaben korrigiert, während die
Tauben auf dem Sims gurren, die angelehnte Badtür, hinter der sie eine kleine
Badewanne hat einbauen lassen. In die sie sich an kalten Winterabenden
manchmal sinken lässt, wenn ihr das Leben fehlt, das sie sich nicht mit Piero
aufgebaut hat.
Ilaria ist in einer Familie aufgewachsen, die jeder ohne zu zögern als
wohlhabend bezeichnen würde. Dennoch fällt es ihr schwer, ihren Lebensstil
und ihr Monatsbudget von dem eines Menschen zu unterscheiden, der
weniger betucht geboren wurde. An der Entwicklung ihrer Familie lässt
sich – in beide Richtungen – die soziale Mobilität ablesen, die typisch ist für
das Italien des vergangenen Jahrhunderts: Großvater Ernani