die Hochachtung zollte, die er den Amis verweigert hatte? Er würde seinen
Sohn nur befreien, wenn er herausfand, wer ihn gefangen hielt, doch Attilio
kannte das hiesige Beziehungsgeflecht zwischen den Mächtigen nicht. Wer
war mit wem verbandelt und welche Generäle rivalisierten bis aufs Blut? Er
wusste nicht, an wen er sich wenden, wie er vorgehen sollte. Ein zu
offensichtliches Korruptionsangebot konnte ihn in ernste Schwierigkeiten
bringen. Er wusste nur, dass in Italien niemand von seinem äthiopischen
Sohn erfahren durfte, also konnte er niemanden aus der Delegation um Hilfe
bitten, am allerwenigsten Casati. Und der kleinste Fehler wäre fatal.
»Ihr Italiener seid die Einzigen, die ein Ministerium zur Bekämpfung des
Hungers eingerichtet haben«, flüsterte ihm eine Stimme ins Ohr.
Attilio drehte sich überrascht um. Sein Sitznachbar auf den unbequemen
Metallstühlen hatte Geheimratsecken, trug eine khakifarbene Militärhose und
eine Tuchjacke mit spitzem Kragen, die aus einem Siebzigerjahrekatalog
entsprungen zu sein schien. Er lächelte freundlich.
»Das gibt es sonst nirgends«, fuhr er in anerkennendem Tonfall fort.
»Nicht einmal in Amerika.« Er sprach gut Italienisch, nur die Betonung
verrutschte ihm manchmal: Ministerìum, Amerìka.
Ministerium zur Bekämpfung des Hungers? Auf dem Rednerpult listete
Casati gerade Zahlen und Fakten des Projekts auf. Attilio lächelte mit der
Bescheidenheit dessen, der ein wohlverdientes Kompliment annimmt, aber in
Wirklichkeit hatte er keine Ahnung, wovon der Mann sprach. Dann begriff
er: Der Mann meinte das neue Gesetz über die internationale
Zusammenarbeit, das vor kurzem das italienische Parlament passiert hatte.
Das Unternehmen wie dem von Edoardo Casati ohne Umwege Milliarden
öffentlicher Gelder an die Hand gab, um große Projekte in der sogenannten
Dritten Welt umzusetzen. Wie dieses hier.
Während sich auf der Tribüne die Redner ablösten, erzählte ihm der
Mann flüsternd, dass sein Vater immer ganz wehmütig von dem Offizier aus
Lodi gesprochen hatte, dem er als Bursche im Krieg gedient hatte. »Jede
Woche bekam er ein frisches Stück Seife!« Er hatte den Sohn die Sprache
derjenigen gelehrt, denen er nicht als Besatzer nachtrauerte, sondern als
Beschützer vor den Übergriffen des Adels. Nun war er Mitglied des Derg-
Kabinetts und fühlte sich in seinen guten Erinnerungen an die Italiener
bestätigt. »Danke für das, was ihr für uns tut«, schloss er und reichte Attilio
die Hand.
jeff_l
(Jeff_L)
#1