Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Es lag nicht an den geschlossenen Geschäften, erklärte der alte
Mechaniker, oder dem Mangel an grundlegenden Konsumgütern – Seife, Salz
und Benzin waren teurer als Gold. Auch nicht an den spurlos
verschwundenen Nachbarn, der Ausgabe von Waffen, den Denunziationen,
dem Misstrauen, das jede Freundschaft oder Beziehung im Viertel vergiftete.
Und auch nicht daran, dass man die Söhne ab zwölf bei Durchsuchungen in
den Hinterzimmern verstecken musste, damit sie nicht eingezogen wurden,
als Kanonenfutter gegen Eritrea. Es lag nicht an den wenigen Gefangenen,
die zurückgekehrt waren und nun tagsüber eine Wand anstarrten und nachts
das halbe Viertel zusammenschrien. Entschieden hatte er sich wegen eines
Säckchens mit gerösteten Gerstenkörnern in der Hand eines Kindes.
Eines Nachmittags, erzählte Carbone, saß auf dem Bürgersteig vor seiner
Autowerkstatt ein Junge von vielleicht sieben, acht Jahren. Den Kopf in den
Nacken gelegt, ließ er sich aus einer Tüte die letzten kola-Körner in den
Mund rieseln. Als er fertig gekaut hatte, blies er in die leere Tüte, so dass sie
sich aufblähte, und ließ sie dann zwischen den Händen zerplatzen.
»Pam!«, rief Carbone und klatschte in die Hände.
Sie saßen vor dem kleinen Ofen, Maaza hob den einäugigen Blick. Sie
hatte die gerösteten Bohnen gemahlen und wartete nun, dass der Kaffee in
der Espressokanne hochkochte. Auf einem Tablett vor ihr standen schon die
Tässchen.
»Bei dem Knall rennen alle davon, der eine oder andere schreit vor Angst
auf, keiner hat gesehen, woher er kam. Ein Soldat kommt, einer von den
vielen, die überall herumlaufen. Der Soldat zielt mit der Pistole auf das Kind,
schreit, es soll den Mund aufmachen, und schiebt ihm die Pistole hinein. Die
Sicherung klickt, und er legt den Finger an den Abzug. Ich renne hinaus. Als
ich näher gehe, sehe ich einen braunen Fleck auf der Hose des Kindes. Hast
du jemals ein Kind mit einer Waffe im Mund gesehen, das sich vor Angst in
die Hose macht?«
Attilio schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist das Schlimmste auf der Welt, Attila. Glaub mir. Und wir beide
haben viel Schlimmes gesehen.«
Die Frau hatte Kaffee in die Tassen geschenkt, blieb aber auf dem
Schemel sitzen, damit er seine Geschichte beendete.
»Lass ihn, sage ich zu dem Soldaten, das ist ein Kind. Er sieht mich an, so
dass ich denke: Jetzt lässt er den Kopf des Jungen explodieren und knallt

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