von Äthiopien und dem Derg. An den Wänden saßen auf unbequemen
Stühlen aus Metallgestellen junge Frauen mit sehr langen Fingernägeln, sehr
kurzen Röcken und gegelten Haaren und warteten geduldig, dass einer der
Spieler sein gewonnenes Geld ausgeben oder sich über den Verlust trösten
wollte. Das Ganze wirkte weniger wie eine illegale Spielhölle als wie ein
Postamt.
Durch ein kleines Fenster drückte die Dunkelheit der Nacht herein wie
die Hand eines Diebes. Dort hinten, am letzten Tisch mit noch einem freien
Platz, saß der Arbeitsminister Berhanu Bayeh. Als er den talian in der Tür
stehen sah, erkannte er ihn und machte eine einladende Geste.
Attilio war sehr müde. Er war heute Morgen in aller Herrgottsfrühe
aufgestanden, um mit der Delegation eine ausgedehnte Ortsbegehung zu
unternehmen. Auf dem Programm hatten der Besuch einiger Auffanglager für
Hungerflüchtlinge im Wollo und Tigray gestanden, dann der Überflug über
die Region im Westen des Tanasees, wo die neuen Siedlungen entstehen
sollten. Als er und die übrige Delegation in den Bauch des großen
Hubschraubers aus sowjetischer Fabrikation gestiegen waren, war der
Sonnenaufgang nicht einmal zu erahnen gewesen. Und kurz vor Dunkelheit
kehrten sie nach Addis Abeba zurück, nachdem sie in den knapp zwölf
Stunden des Tages in Äquatornähe fast tausend Kilometer zurückgelegt
hatten. Zu kurz, als dass die Ortsbegehung einen praktischen Nutzen haben
konnte, zumal den italienischen Fachleuten verboten worden war, schon erste
Messungen zur Kartographierung der Gegend vorzunehmen – offenbar
sensibles Material wegen des Krieges mit Eritrea. Ziel des Fluges war also
weniger gewesen, dass die Gäste etwas sahen, als dass sie von anderen
gesehen wurden: von lokalen Beamten, Parteikadern, der Bevölkerung. Zu
beweisen, dass die Krise unter Kontrolle war und der Derg an einer Lösung
arbeitete – erkennbar an den reichen italienischen Entwicklungshelfern.
Nach diesem langen und irgendwie sinnlosen Tag spürte Attilio nun die
von der dauernden Anspannung müden Muskeln und Knochen. Eine
abgrundtiefe Erschöpfung, schwer verdauliche Botin seiner siebzig Jahre, die
er sonst selten spürte. Der lange Weg über die Flure und Treppen des Hotels
Ghion hatte ihm die letzte Kraft geraubt. An den Türpfosten gelehnt, fühlte er
sich unter den Blicken des Ministers Bayeh wie ein Schiffbrüchiger aus einer
vergangenen Welt, schrecklich fremd. Von den Besuchen in den
Flüchtlingslagern hatte er nur noch Fragmente vor Augen. Kinder mit
jeff_l
(Jeff_L)
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