eine Porzellanfigur, mit wirrem Bart und eingefallenem Gesicht, war er aus
dem Jubilee Palace eskortiert und in einen alten VW-Käfer verfrachtet
worden, blau mit eingedellten Stoßstangen, ein unwürdiges und lächerliches
Gefährt, mit dem der Negus Negest, König der Könige, Löwe von Juda sowie
letzter Nachkomme König Salomons seine letzte Reise antreten sollte. Außer
von seinen Kerkermeistern wurde er niemals mehr lebend gesehen.
Als der neue Diktator Haile Mariam Mengistu nicht lange danach auf
dem Meskel Square eine mit roter Flüssigkeit gefüllte Flasche schwenkte, um
zu zeigen, dass er bereit war, das Blut seiner Feinde zu trinken, kommentierte
Abeba: »Ein Land am Rande des Untergangs gebiert Wildschweine.« Das
sagte sie allerdings nicht zu ihren Gästen – es war gefährlich geworden,
selbst seinen engsten Freunden zu vertrauen –, sondern nur ihren beiden
Kindern: Ietmgeta und Saba.
Zwölf Jahre zuvor hatte Abeba festgestellt, dass sie erneut schwanger
war, und belustigt in die Hände geklatscht: Noch nie hatte eine unfruchtbare
Frau so viele Kinder gehabt, zwei sogar! Und das zweite bekam sie in einem
Alter, in dem anderen Frauen langsam der Bauch verdorrte. Der zukünftige
Vater ihrer Tochter war ein Tuchhändler vom Merkato, der Abeba seit Jahren
umwarb. Doch sie hatte ihn jedes Mal ausgelacht: »Ich will keinen, der sich
in eine alte Frau verliebt!«
In Wahrheit brauchte Abeba keinen Mann. Sie hatte ihren kleinen Laden
und einen Mann im Haus, Ietmgeta. Auch eine Schwangerschaft würde daran
nichts ändern. Als Saba auf der Welt war, behandelte sie sie anders als den
Sohn von Attila Profeti. Er hatte seine Identität vom Vater – wenngleich er
ihn nie kennengelernt hatte –, sie aber war ein Mädchen und sollte die ihre
von der Mutter erhalten. Für Ietmgeta kochte Abeba Lasagne, während sie
und Saba injera aßen. Ihn hatte sie zum Unterricht zu den italienischen
Nonnen geschickt, ihre Tochter ging auf die Schule im kebele. Außerdem
sprach sie mit Ietmgeta manchmal Italienisch (»Bravo, mio figlio!«, hatte sie
zu ihm am Tag seines Examens gesagt), mit Saba nicht. Beiden hatte sie
gleichermaßen die Verhaltensregeln beigebracht, die aus ihnen ihres Volkes
würdige Amharen machten, die yilugnita, die auch sie als Kind gelernt hatte:
Respekt vor dem Alter, weniger auf sich als auf die anderen achten, immer
die Wahrheit sagen. Eines Tages fand Saba in einer Schublade den alten
Spiegel, den viele Jahre zuvor der talian-Vater des Bruders ihrer Mutter
geschenkt hatte. Abeba überließ ihn ihr. »Pass auf, dass du nicht zu viel
jeff_l
(Jeff_L)
#1