»Du bist Moralfundamentalistin geworden als Reaktion auf die
unmoralische Haltung deines Vaters«, hat Piero einmal zu Ilaria gesagt, und
sie hat erwidert: »Tja, genauso wie du als Reaktion auf einen fürchterlichen
Vater ein so außergewöhnlich wunderbarer Mensch geworden bist!«
Wie immer haben sie gelacht, getreu ihrem jahrelangen Rollenspiel. Doch
sie wussten, es war nicht ganz falsch. Beide haben sie ihr Leben auf dem
Drahtseil verbracht, das sich zwischen ihrer Herkunft und dem Entschluss
spannte, sich nicht davon definieren zu lassen. Sie hat radikale
Entscheidungen getroffen, doch er hat sich ein noch ambitionierteres Ziel
gesetzt: seine soziale Herkunft nicht zu verleugnen, sondern für das zu
nutzen, woran er glaubt. Und er weiß, dies ist das einzige Motiv, warum sie
ihm verzeiht, dass er der Regierung des ihr so verhassten Silvio Berlusconi
angehört: Er tut es nicht in böser Absicht. Das war lange genug, bis er sich
gestern dabei ertappte, sich vor der Fernsehkamera hinter seiner Hand zu
verstecken wie ein Krimineller, der abgeführt wird.
Piero Casati muss es sich ein für alle Mal eingestehen: Der gute Wille
allein reicht nicht mehr.
Er ist in die Politik gegangen mit der Vorstellung von konservativer
Effizienz, mit der Idee einer Gesellschaft, in der man für die Gründung eines
Unternehmens nicht tausend Genehmigungen und Autorisierungen einholen
und komplizierte bürokratische Hürden überwinden muss. In der die
Staatsexzesse der Ersten Republik korrigiert werden von einem gesunden
Markt und einem verschlankten, weniger schwerfälligen Staatsapparat. Doch
von diesem Erneuerungsprojekt, das Italien, davon ist er überzeugt, genauso
dringend braucht wie die Luft zum Atmen, hat die Regierung, der er
angehört, bisher nichts realisiert. Die Privatinteressen haben jede Vorstellung
von Gemeinwohl ausgelöscht. Und mittlerweile ist die Degeneration fast
greifbar, dieses Klima des Untergangs, des Ansichreißens, der Ratten, die im
Laderaum die letzten Käserinden aufknabbern, bevor das ganze Schiff am
Felsen zerschellt. Und er hat die Nase voll, den grünen Knopf an seinem
Parlamentariersessel für Gesetze zu drücken, die er insgeheim für nutzlos,
falsch und schädlich hält.
Er betrachtet eingehend sein Gesicht im Spiegel. Wie wäre das Leben des
Menschen, den er da vor sich sieht, wenn er alle parlamentarischen Ämter
niederlegen würde? Wenn er den Familienbesitz in der Nähe von Viterbo
nehmen und Winzer werden würde? Und vor allem wenn er noch heute
jeff_l
(Jeff_L)
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