Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Backform in der Mitte des Tisches zu greifen, streifte sie kurz mit der Seite
sein Gesicht und hüllte ihn in ihren Duft.
Attilio schloss die Augen.
Er holte tief Luft. Diesen intensiven Duft erkannte er wieder.
Er machte die Augen erst wieder auf, als sie in der Küche verschwunden
war.
Marella hatte wie üblich nichts bemerkt.
»Morgen soll sie mal ein Gericht aus ihrem Land kochen«, sagte Attilio,
als sie fertig waren.
Am vierten Abend kochte Haddas zigini. Das berbere hatte sie
mitgebracht und bewahrte es in ihrem Koffer auf. Sie nahm nicht viel, viel
weniger als zu Hause in Eritrea, doch die Kinder mochten es trotzdem nicht.
Emilio musste sich wie immer produzieren, riss den Mund auf und fächelte
sich wild mit der Hand davor herum, spülte ganze Gläser Wasser nach und
gurgelte mit übertriebener Erleichterung. Federico, der schon über zwanzig
war, wollte ihm nicht nachstehen und hechelte wie ein Hund mit
heraushängender Zunge. Ilaria, viel jünger als die beiden und weit entfernt
von ihrem endlosen Ringen um die Aufmerksamkeit der Welt, stellte fest:
»Es ist nicht heiß, und trotzdem brennt es.«
Der nächste Tag war ein Sonntag. Der Tag der Woche, an dem Anita so
tat, als sei sie eine glückliche ungebundene Dreißigjährige, frei von den allzu
vielen Männerhänden ihrer Kindheit, vor denen ihre Mutter als Kriegerwitwe
sie nicht hatte schützen können. In Wirklichkeit überstand sie ihn nur mit
dem bangen Hoffen eines prähistorischen Menschen, der im Dunkel der
Nacht darauf wartet, dass seine Sonne wieder aufgeht: Attilio.
Sie hatten einander auf die älteste Art des außerehelichen Umwerbens
gefunden, die der Westen kannte: Sie war seine Sekretärin. Nun war sie
absolut nicht die erste Frau, mit der Attilio Marella betrog, und auch nicht die
letzte, aber die einzige, zu der er immer wieder zurückkehrte, und nicht nur,
weil sie immer da war, im Büro, bereit und reif wie eine Erdbeere. Attilio
Profeti hatte sich auch verliebt – soweit das einem Mann möglich ist, dem
niemals in den Sinn käme, für das Glück eines anderen auf etwas zu
verzichten. Für sie seine Frau zu verlassen war für ihn überhaupt kein Thema.
Dabei war in den vergangenen Monaten in Italien über wenig anderes geredet
worden als über das Referendum zur Legalisierung der Scheidung. Überall,
auf den Demonstrationen, in den Bars, in den Wohnzimmern, wurde die

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