Indem er unverfroren die zeitlichen Spielräume der
Bildungseinrichtungen bis an die Grenzen der Tolerierung ausnutzte, schaffte
es Attilio Profeti jahrelang, seine beiden jüngsten Kinder quasi gleichzeitig
zur Schule zu bringen, obwohl sie einige Kilometer entfernt wohnten und
nichts voneinander wissen sollten. Um diese Momente des direkten
Miteinanders mit ihnen nicht zu verlieren, lernte er quasi die Kunst der
Allgegenwart; gleichzeitig aber musste er diesen spektakulären Beweis
väterlicher Liebe geheimhalten, konnte niemand ihn wertschätzen. Seine
athletische und jugendliche Physis gab ihm die Kraft, die Anstrengungen der
Bigamie auszuhalten, das Hin und Her im Auto von einer Familie zur
anderen, von einer Frau zur anderen, von einem Leben zum anderen.
Dennoch drohte eine tödliche Müdigkeit häufig sein kompliziertes
Lügengebäude zum Einsturz zu bringen. Dann fuhr Attilio Profeti genau wie
in der Nacht, als er von Anitas Schwangerschaft erfuhr, rechts ran, gleich ob
an befahrenen Straßen oder lauten Kreuzungen, und schlief ein. Den Kopf
nach hinten an die Kopfstütze gelehnt, mit offenem Mund, versank er für ein
paar Minuten hilflos in einen Schlaf, der so kompakt war wie der Hohlraum,
der ihn seit jeher von sich selbst trennte.
Doch trotz der praktischen Schwierigkeiten, der beständigen Angst, etwas
Falsches zu sagen (auch bei Anita erwähnte man die andere Familie besser
nicht, wollte man sie bei Laune halten), bewirkte die Anstrengung in Attilio
Profeti eine unsagbare Leichtigkeit. Endlich hatte er ein privates Geheimnis,
banal und von bürgerlichem Ausmaß. Nicht epochal, wie von der Geschichte
auferlegt. Ein Geheimnis aus Lügen und Auslassungen, mit dem er gut
umgehen konnte. Ehebruch, nicht Senfgas oder Flammenwerfer. Was für eine
Erleichterung!
Mit Ausnahme des Tages, als Marella ihm zum Espresso nach einem der
seltenen Mittagessen in der Familie die Frage servierte: »Wer ist Lidio
Cipriani?«
Diese Frage kam so unerwartet, von einer Frau, die nichts von seinem
Leben vor ihrem Kennenlernen vor fast dreißig Jahren wusste, dass Attilio
fast glaubte, er hätte sie sich eingebildet. Er nahm sich Zeit zu antworten, wie
ein Spieler, der nicht nur seine Gefühle zu verbergen vermag, sondern auch
den Umstand, dass er sie verbirgt.
»Wer?«
»Heute Morgen war ich in der Nationalbibliothek und habe ein Buch
jeff_l
(Jeff_L)
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