MESSAGE / NACHRICHT: Liebste Eltern, ich wünsche Euch unbeschwerte
Weihnachten. Bei mir sehr gut. Otello.
DATE / DATUM: 2. Februar 1946
MESSAGE / NACHRICHT: Liebste Eltern, wie geht es Euch? Mir sehr gut.
Otello.
DATE / DATUM: 23. Februar 1946
MESSAGE / NACHRICHT: Liebste Eltern! Wir brechen auf nach New
York! In einer Woche gehen wir an Bord! Sagt Attilio, dass er mir nicht mehr
schreiben muss, ich bin vor der Post zu Hause!
(Scherz) Euer Otello.
Der Puff auf der Straße nach Bagnacavallo hatte nie den Betrieb eingestellt.
Während der Besatzung nahmen die Mädchen abends Nazis und Faschisten
mit auf die Zimmer, vormittags gab die Maitresse Informationen an die
Resistenza weiter. Am Tag der Befreiung hatten sie sich schwarze Linien auf
die Waden gemalt, um Seidenstrümpfe vorzugaukeln, die sie seit Jahren nicht
gesehen hatten, und waren mit den roten Halstüchern der Partisanen
triumphierend neben ihnen mitmarschiert. Sie hatten Handküsse geworfen
und zu der amerikanischen Musik getanzt, die den Hüften solch wilden
Schwung verlieh. Sie hatten den Befreiern eine Runde aufs Haus angeboten,
die sie unter sich begruben mit Körpern so dünn wie Wölfe im Winter. Mehr
als ein Jahr war sie nun her, diese sorglose Ausgelassenheit. Der düstere
Krieg war vorbei, doch ebenso die Euphorie der Überlebenden. Jetzt musste
die Welt wieder zusammengefügt werden – und das hieß zupacken und
fleißig sein.
Otello erkannte keines der Mädchen aus der Zeit vor dem Krieg wieder
und hatte nichts anderes erwartet. Das Kriegschaos hatte neben allem anderen
auch die strengen staatlichen Kontrollen für käuflichen Sex ausgehebelt. Im
Bordell von Bagnacavallo gab es nun viele Frauen anderer Herkunft:
Kriegerwitwen, Töchter, deren Eltern bei einer Bombardierung beide
umgekommen waren, Waisen durch Nazi-Razzien. Die Maitresse nahm sie
alle unterschiedslos auf. Auch weil man über den Krieg so manches
Schlechte sagen kann, nicht aber, dass er den Huren die Arbeit wegnimmt.
Der Puff war nie ein Luxusbordell gewesen, wo es spezielle Angebote