Ärgers überschwemmt ihr Gesicht. Dann bin ich jetzt die Rassistin?
Gleichzeitig ist ihr bewusst, wie sehr sie darin ihrer Mutter ähnelt, wenn sie
instinktiv in die Defensive geht. Und um auf keinen Fall der inneren Marella
eine Stimme zu geben, die stets so schnell beleidigt ist, nimmt sie den
Strohhalm in den Mund und saugt. Die letzten Tropfen des Saftes gurgeln
wie der Abfluss einer Spülmaschine. Erst als sie spürt, wie der Adrenalinstoß
nachlässt, wagt sie wieder zu sprechen. »Ich verstehe nicht, warum du es
immer noch nicht glaubst. Die Geschichte, die er mir erzählt hat, passt
perfekt zu den Briefen seines Vaters. Also unseres Bruders. Ohne jeden
Widerspruch. Wir gehen jetzt nach Hause, dann kannst du sie lesen.«
»Addis Abeba, Juli 1966
Lieber Signor Vater,
ich schreibe Euch zu Eurer Information: Ich habe den Studienabschluss in
Wirtschaftswissenschaften. Mit 87 von 100 Punkten. Universität in Addis
Abeba ist größte in ganz Afrika. Ein Abschluss in Addis Abeba ist sehr
wichtig.
Ich lege Foto bei. Auf ihm bin ich seit ein paar Minuten diplomiert. Ich
bin sehr glücklich. Auch meine Mutter ist sehr glücklich. Ich hoffe, Ihr auch.
Nun will ich für mein Volk arbeiten. Äthiopien ist großes Land, aber viel zu
arm.
Ich wünsche Euch gute Gesundheit und Glück,
Euer Sohn
Ietmgeta Attilaprofeti Ezezew«
»Weißt du, was ich am traurigsten finde?«, sinniert Ilaria laut. Sie sitzen auf
ihrem Sofa mit der offenen Briefdose zwischen sich.
»Dass Papa ihm nie geantwortet hat?«, erwidert Attilio.
»Ja, das auch. Aber vor allem, dass er auf Italienisch schrieb.«
»Er macht tatsächlich nur sehr wenige Fehler.«
»Aber auch das hat nichts gebracht. Papa hat ihn trotzdem nicht
anerkannt.«
Attilio wühlt in der Blechdose, zieht ein paar Ansichtskarten heraus,
Fotos, das Buch von Mantegazza. »So viel Kram ...«, ruft er aus. »Hast du
das alles durchgesehen?«
»Nein. Da braucht man Tage für.«