Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

hatten. Und ebenso manifestierte sich die geistige Unterlegenheit der
Afrikaner in ihrem tierhaften Äußeren.
Cipriani hielt sich als Wissenschaftler für ausreichend objektiv. Nicht im
Traum wäre er auf die Idee gekommen, die Verbindung zwischen Aussehen
und Intelligenz an sich selbst auf die Probe zu stellen. Zum Glück, denn er
hatte nun wirklich wenig mit dem Apollo von Belvedere gemein: klein,
dunkelhaarig, mit knochigen Knien und Augen, die wie Fische in einem
Goldfischglas hinter der dicken Brille schwammen. Unermüdlich schrie er
die Lastenträger an, die die Ausstellungsstücke für die Übersee-Schau von
einem Saal in den anderen schleppten. Er mischte sich überall ein, putzte die
Arbeit von Architekten und Ausstattern herunter und behandelte einfach
jedermann schlecht. Mit einer Ausnahme: Profeti Attilio.
»Da kommt der Retter meiner Abessinien-Expedition.« So hatte Cipriani
der römischen Redaktion der Zeitschrift ›Die Verteidigung der Rasse‹ Profeti
vorgestellt, wo sie sich getroffen hatten, bevor sie nach Neapel fuhren. Der
Redaktionssekretär war an Attilio herangetreten, ein junger Mann kaum älter
als er selbst, mit blauen Augen und großem Kopf. Er hatte sich als Giorgio
Almirante vorgestellt.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, flüsterte er ihm mit Hinweis auf
Cipriani ins Ohr. »Normalerweise lässt er sich lieber aufhängen, als
zuzugeben, dass ihm jemand geholfen hat!«
Cipriani schenkte Attilio sogar eine Ausgabe von Forschungsmission am
Tanasee, das Ergebnis seiner anthropometrischen Untersuchungen, die sie
beide zusammengeführt hatten. Auf das Titelblatt schrieb er eine Widmung,
mit dem Füllfederhalter, der ihn über drei Kontinente begleitet hatte. Doch
als Attilio ihn fragte, was denn aus seinem Assistenten Romano Bertoldi
geworden war, wich Cipriani aus. Für einen Rassenexperten war es durchaus
heikel zuzugeben, dass erst ein anonymer Brief dazu geführt hatte, ihn als
Halbjuden zu identifizieren.
Die Übersee-Ausstellung im neapolitanischen Stadtteil Fuorigrotta war
das internationale Aushängeschild für das wiederauferstandene Römische
Reich und sollte über ein Jahr dauern. Für ihren Bau hatte Mussolini keine
Kosten und Mühen gescheut. »Vierundfünfzig Gebäude! Eine Million und
einhundert Quadratmeter!«, verkündeten dröhnend die Propagandafilme des
Luce-Instituts in den Kinos. Zu Füßen des Partei-Turms (»Höhe:
sechsundvierzig Meter!«) die riesige Statue der faschistischen Viktoria mit

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