Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

immer was zu (ZENSUR), 2. daran, dass ich Dir nur von Bomben und
Kanonenhagel erzählen könnte, und das habe ich ja ohnehin jeden Tag, da
brauche ich nicht auch noch davon zu schreiben. Ich habe keine Nachricht
von Attilio. An welche Front haben sie ihn geschickt? Sag ihm, er soll sich
melden. Und bitte Mamma, mir häufiger zu schreiben.
In Liebe, Dein Sohn Otello«


Otello trug die hellblaue Postkarte seit Monaten mit sich herum. Jetzt hätte er
sie am liebsten zerrissen und in den Atlantik geworfen, der ihn umgab. Doch
dann dachte er, dass er zu weit von der Reling entfernt war und die Zettel
vielleicht ihm oder den anderen Häftlingen ins Gesicht geflogen wären,
worüber dann wieder einmal die amerikanischen Soldaten gelacht hätten.
Besser nicht. Also las er zum wer weiß wievielten Mal das lange Zitat, das in
winziger blauer Schrift den oberen Teil der Karte bedeckte:


Dieser gigantische Kampf ist nichts anderes als eine Phase in der
logischen Entwicklung unserer Revolution: Es ist der Kampf der
armen Völker gegen die Aushungerer, die ein Monopol allen
Reichtums und allen Goldes der Erde haben. Es ist der Kampf der
fruchtbaren und jungen Völker gegen die unfruchtbaren, sich auf
ihren Untergang zubewegenden Völker. Es ist der Kampf zweier
Zeitalter und zweier Weltanschauungen. Mussolini.

Die früheren Postkarten der Streitkräfte, die Otello von der nordafrikanischen
Front geschickt hatte, waren mit kürzeren, knackigeren Zitaten verziert
gewesen, etwa: »Wir brechen Griechenland alle Knochen!«, das allerdings
verschwand, nachdem allein das massive Eingreifen der deutschen
Wehrmacht einige Niederlagen der Italiener in Griechenland und auf dem
Balkan verhindert hatte. Dasselbe geschah in der Sahara, wo Otello sich
aufhielt. Wenn Rommel nicht gekommen wäre, hätte der angloamerikanische
Besen sie augenblicklich hinweggefegt wie Staubflöckchen.
Am Ende jedoch wurden sie trotzdem hinweggefegt, so dass der
Postdienst der italienischen Streitkräfte in Nordafrika wie alles andere
eingestellt wurde und die Weihnachtskarte in seiner Tasche verblieben war.
Immerhin hatten sie zweieinhalb Jahre durchgehalten. Zwei blutige Jahre

Free download pdf