Wehrmacht. Der deutsche Oberst befahl Ernani, ihn auf das Abstellgleis zu
rangieren, nach Mitternacht würden sie weiterfahren.
Ernani tat so, als höre er die dumpfen Schläge und das Wehklagen nicht,
die hinter den verschlossenen Schotten ertönten, als sähe er die Münder und
Augen nicht, die sich an die Ritzen drückten. Gehorsam setzte er sich in sein
Büro. Er überprüfte Dienstanweisungen, Einsatzpläne, Materialvorräte. Nur
hin und wieder hob er den Kopf von seiner Arbeit. Zwei bewaffnete Aufseher
kontrollierten etwas entfernt die rostigen Waggons, in denen Menschen
starben. Sie redeten miteinander in ihrer Sprache aus Umlauten und
Konsonanten, die so offensiv scheint, wenn Befehle gebellt wurden, doch im
leisen Zwiegespräch zwischen Kameraden im dämpfenden Wattenebel
melancholisch klang und uralt wie ein dunkler Wald. Aus dem Innern des
Waggons kam kein Laut; die Deportierten hörten die Wachen in der Nähe
und schwiegen.
So verging der Nachmittag. Als es dämmerte, erhob sich Ernani hinter
seinem Schreibtisch, packte den Hammer und ging auf das Gleisgeflecht vor
dem Bahnhof zu. Die Wachen folgten ihm mit den Blicken. Er begann
demonstrativ ruhig auf die Weichen einzuschlagen, als müsse er dort etwas
reparieren. Nach ein paar Hammerschlägen erlahmte die Neugier der
Deutschen und sie unterhielten sich wieder. Ernani klopfte weiter auf die
Gleiskreuzungen ein und entfernte sich dabei Stück für Stück aus ihrem
Sichtfeld, bis er sich auf der anderen Seite des versiegelten Waggons befand.
Ohne den Rhythmus des Hammers zu verändern, um nicht ihre
Aufmerksamkeit zu wecken, näherte er sich weiter dem Zug, bis er das
Gesicht an einen Schlitz legen konnte. Eine Dunstwolke aus Erbrochenem
und Exkrementen schlug ihm entgegen, dass ihm beinahe übel wurde.
»Woher kommt ihr?«, flüsterte er.
»Rom«, erwiderte mühsam eine Männerstimme. Ein Raunen erhob sich,
doch Ernani hörte, wie der Mann die Leute um sich zum Schweigen brachte.
»Wo sind wir?«
Ernani schlug auf die Schienen, um seine eigene Stimme zu übertönen.
»Lugo in Romagna.«
»Gebt uns Wasser, habt Erbarmen. Wenigstens den Kindern ...«
In den wenigen und zugleich vielen Lebensjahren, die ihm danach noch
blieben, fragte sich Ernani immer, wenn er an jenen Tag zurückdachte und
jeden Moment aufs Neue durchlebte, ob die Sache irgendwie hätte anders
jeff_l
(Jeff_L)
#1