Hatte einen Bogen um Arezzo gemacht, wo das deutsche Oberkommando
saß, das, so hatte er gehört, keinen Moment zögerte, Männer im
kampftauglichen Alter und ohne Passierschein in einen Zug Richtung
Deutschland zu setzen. Er schimpfte sich einen Dummkopf, dass er sein
Parteibuch der Faschisten vernichtet hatte, wie nützlich es ihm jetzt gewesen
wäre!
Das hatte er am Tag nach Mussolinis Flucht aus Rom getan, im
vergangenen Juli. Attilio war durch die Straßen der Ewigen Stadt gelaufen,
die in orientierungslose Stille getaucht waren, bis zum Ponte Garibaldi
gegenüber der Tiberinsel, wo der Fluss einen Sprung macht und einige Meter
einem Wildbach gleicht. Das Titelblatt des Ausweises der Nationalen
Faschistischen Partei war nicht mehr mit Blumenmotiven verziert wie in den
Anfangszeiten des Faschismus, auch nicht von den nachdenklichen Zügen
Mussolinis oder den eleganten Schriftzügen der dreißiger Jahre. Seit Italien in
den Krieg eingetreten war, prangte der Schädel des Duce mit Militärhelm
darauf, der jedoch nichts Menschliches hatte, sondern eine abstrakte Größe
zu sein schien: brutal, bedrohlich. Der Traum oder Albtraum eines Diktators
vor seinem Ende. Mit langsamen Bewegungen, die Hände über dem
Brückengeländer, hatte Attilio ihn zerrissen. Die grauen Papierschnipsel
waren verflogen wie Blütenblätter im warmen Sommerwind, dann hatte der
kalte Sog des Flusses sie ergriffen und mitgerissen. Eine Weile waren sie auf
den trüben Stromschnellen getrieben, auf- und abtauchend in den Strudeln
und Wirbeln, dann hatte er sie nicht mehr gesehen im stetigen Fluss Richtung
Meer.
Um jetzt nicht in einen Militärkonvoi oder in Razzien zu geraten oder von
den Aufklärungsflugzeugen niedergemäht zu werden, musste er größere
Ortschaften und die Hauptverbindungsstraßen wie die Via Flaminia meiden.
Er wollte die Nacht in Pieve Santo Stefano verbringen, um am nächsten
Morgen das schwierigste Wegstück anzugehen, den Pass über den Apennin.
Er hoffte, nach einem langen Tagesmarsch dann Bagno di Romagna zu
erreichen. Romagna! Der Inbegriff von Zuhause. Von dort, jenseits der
Bergkette, die sich wie greise Rückenwirbel durch Italien zog, stände er bald
darauf in der Poebene. Und eingehüllt in den vertrauten Geruch aus
Schlamm, langsam fließenden Gewässern und Dung hätte er um seine Mutter
trauern können.
In den Speisesaal der einzigen geöffneten Gaststätte in Pieve wehte durch
jeff_l
(Jeff_L)
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