Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Eben. Und dasselbe war hier in Abessinien zu tun. Addis Abeba dem
Erdboden gleich machen. Die Stadt den Italienern überlassen und die
Eingeborenen deportieren. Der richtige Ort war das Dhalak-Archipel, der
wüstenähnlichste Ort vor Arabien. Gewaltmärsche bis Massaua, egal ob man
unterwegs Leute verlor. Von da auf dem Schiff bis zur Insel Nokra, wo es
bereits ein von Eritrea gebautes Gefängnis gab, fünfzig Grad im Schatten und
eine Million Steine. Die Deportierten konnten in Steinbrüchen arbeiten und
so zum Bau der für das Imperium notwendigen Straßen beitragen. Auf dem
Landungssteg würde sie ein Spruch in ihrer merkwürdigen Sprache
empfangen, welche die etwas Gebildeteren den Analphabeten vorlesen
konnten: DEN AMHAREN IST ES NICHT VERBOTEN ZU STERBEN.
Im Operationssaal hatte Graziani drei Maschinengewehre postieren
lassen, eines an der Tür und zwei neben den Fenstern; dann noch eines im
Flur und um das Krankenhaus einen Ring aus bewaffneten Wachen, der
durch das ganze Viertel führte. Tag für Tag kam er wieder, um sich jeden
Granatsplitter einzeln aus dem Bein ziehen zu lassen.
»Die ganze Welt will nichts anderes, als dass du dich wieder erholst, hab
keine Angst«, sagte Ines, als sie ihn auf sein Zimmer zurückschoben, er noch
wirr vor Schmerzen, nachdem sie wie Inquisitoren sein Fleisch gemartert
hatten. In diesen Momenten liebte und hasste er sie, denn sie war die reinste,
schönste, beste Frau der Welt und hatte doch nichts begriffen. Es stimmte
nicht, dass die Welt ihm gute Genesung wünschte. Die Welt wollte seinen
Tod. Bevor er in einen unruhigen Schlaf fiel, erwiderte der Vizekönig von
Italienisch-Ostafrika diesen Wunsch aus ganzem Herzen.


Mussolini fuhr noch Ski am Terminillo, als ihn Grazianis Telegramm
erreichte. Er bat um die Erlaubnis, Addis Abeba dem Erdboden gleich zu
machen und die hunderttausend Einwohner – Alte, Frauen und Kinder
inklusive – zu deportieren. Der Kolonialminister Lessona war aus Rom
herbeigeeilt und schleppte sich mit eiskalten Füßen hinter dem Duce durch
den Schnee. Er hatte ihm noch einen zweiten Brief von Graziani mitgebracht.
Er enthielt ein paar delikate Fotos von dem halbnackten Marschall (einige als
Ganzkörperbild, andere als unangenehm intime Nahaufnahme), die
entschieden mehr zeigten, als von einem Vizekönig oder auch jedem anderen
zu sehen sein sollte. Ihr Zweck, so erklärte das beiliegende Schreiben,
bestand darin, dem Duce jeden Zweifel an einer Sache zu nehmen: Rodolfo

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