von klein auf die eigenen Vorfahren aufzählen, und wer spontan einen
peinlichen Namen zu ersetzen versuchte, würde ganz sicher darüber stolpern
wie über einen vertauschten Buchstaben im Alphabet. Die Prüfung war gut
verlaufen. Alle Familienmitglieder, alte und junge, Männer und Frauen,
versammelt um die Kaffeezeremonie mit dem Rautenzweig zu Ehren des
Gastes, hatten ohne sich zu versprechen oder zu zögern die Sippschaft
aufgezählt. Die Reinheit des Blutes war somit bestätigt. Also ging der Vater
der künftigen Braut zum Abun und bat ihn um Hilfe, den richtigen Tag für
die Trauung zu finden. Es gab Tage, die günstig zum Reisen waren, aber
nicht für Übereinkünfte, andere für den Krieg, aber nicht für die Liebe, an
manchen waren die Dämonen besonders stark, so dass man besser zu Hause
blieb, an anderen betete man besonders wirkungsvoll zu den Engeln.
Schließlich war der passende Tag für die Hochzeit gefunden.
»Meine Tochter ist es gewohnt, Fleisch zu essen, also ernähre sie nicht
mit Gemüse«, sagte Abebas Vater zu dem Vater des Bräutigams und
eröffnete damit die Verhandlung über die Mitgift und die Aufteilung des
Vermögens. Wie viele Ziegen, wie viele Kälber, wie groß das Stück Land,
dessen Ertrag der Braut die Ausgaben für die Haartracht garantierte. Endlich
war man sich einig. Und das wurde auch Zeit. Die Braut war schon sieben
und der Bräutigam zwölf Jahre alt.
Abeba hatte eine glückliche Kindheit. In jeder Familie brauchen die
Kinder mindestens einen Erwachsenen, den sie fürchten, und bei ihr war es
der Großvater. Er peitschte sie aus, wenn sie es den Älteren gegenüber an
Respekt fehlen ließen und mehr an sich selbst dachten als an die Geschwister
und Freunde, wenn sie logen, wenn sie keck eigene Wünsche äußerten, wenn
sie nicht bei jeder Gelegenheit daran dachten, was andere dazu sagen
könnten – kurz, wenn es ihnen an yilugnita mangelte. Manchmal war er
gnadenlos. Als ihr Bruder Bekele mit acht Jahren, also in einem Alter, in dem
man schon die Feiertage achtete, während der Fastenzeit zwei noch warme
Eier frisch vom Huhn trank, hing der Großvater ihn kopfüber an einem Baum
auf, bis er sich gelb erbrach und bewusstlos wurde. Da erst befahl er, ihn vom
Baum abzunehmen. Niemand der Erwachsenen ging zu Bekele, um ihn zu
trösten, was er auch gar nicht erwartete: Ein Amhare zeigt weder Schwäche
noch Schmerz. Nur die kleine Abeba blieb bei ihrem Lieblingsbruder, wenn
auch mit etwas Abstand, um nicht bestraft zu werden. Bis er aus eigener
Kraft wieder aufstehen konnte.
jeff_l
(Jeff_L)
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