so glänzend wie Brennspiegel. Es gab die Farben der Kleider der Passanten,
das trockene Gras, das aus einem Riss im Asphalt ragte, die ziehenden
Wolken am Himmel. Welch erstaunliche Vielfalt an Formen und Farben.
Der Junge konnte sein rechtes Auge, auf dem er nicht mehr gut sah, nicht
ganz öffnen. Bei seiner Festnahme, als er auf der Straße lag, hatte ein
libyscher Polizist ihm einen Tritt in die Augenhöhle versetzt. Und in den
Folgemonaten hatten die Wachen beim Anblick des tiefhängenden,
geschwollenen Lids sich immer wieder mal die Zeit mit dessen Bearbeitung
vertrieben. Nach den langen Monaten der Bewegungslosigkeit fiel ihm das
Laufen schwer wie in einem Albtraum, in dem man fliehen muss, aber eine
unsichtbare Kraft einem die Glieder lähmt. Das Laufen, diese
lebenserhaltende Freude seiner Imagination, war seinem realen Körper nicht
mehr möglich. Er wankte durch die Straßen in den Kleidern, die er bei seiner
Festnahme getragen hatte und in dem ganzen Jahr keinmal hatte waschen
können. Die Passanten wichen mit gerümpften Nasen vor ihm aus. Doch
dann wurde ihm endlich klar: Wieder einmal hatte er ein Gefängnis lebend
verlassen. Wieder einmal auf den eigenen Beinen.
Gott, gepriesen sei er in Ewigkeit, hatte wieder zu sprechen begonnen.
Zur selben Zeit, als der Junge vor dem vielen Licht die Augen
zusammenkneifen musste, stand am anderen Ende von Tripolis der gerade
wiedergewählte italienische Ministerpräsident am Fuß der Gangway und
drückte seine Lippen auf den Handrücken von Muammar al-Gaddafi. Eine
theatralische, bei einem Führer des Westens nie gesehene Geste, die sowohl
in Italien als auch in der gesamten westlichen Welt Erstaunen hervorrief, die
das libysche Fernsehen hingegen als »hochsymbolisch für die Beilegung der
Streitigkeiten zwischen den beiden Ländern als Erbe einer düsteren
Kolonialvergangenheit« wertete.
Der Junge wusste nichts von diesem Staatsgast; Silvio Berlusconi wusste
nichts von der Existenz des Jungen und würde auch nie davon erfahren. Und
doch lag der Grund für die unerwartete Befreiung tatsächlich in seinem
Besuch in Tripolis anlässlich der Unterzeichnung des Abkommens mit dem
klingenden Namen »Vertrag über Freundschaft, Partnerschaft und
Zusammenarbeit«.
Schon ein Jahr zuvor hatte Italien Gaddafi, diesem jahrzehntelang nicht
hoffähigen Bullterrier der internationalen Politik, geholfen, erneut in die
ehrenwerte Vereinigung der Nationen aufgenommen zu werden. Dazu
jeff_l
(Jeff_L)
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