Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

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2010


»Er ist zu schwarz«, flüstert Attilio Ilaria zu.
Der Seebarsch liegt roh im Kühlschrank der Chance, und er ist mit einem
Mordshunger in Fiumicino gelandet. Seine Schwester hat ihm eine schnelle
Pasta zubereitet. Nun sitzt Attilio am Küchentisch und wischt mit einem
Stück Brot den letzten Rest Soße von seinem Teller.
Durch die offene Tür zum Zimmer hört er eine Tastatur klappern.
Manchmal bricht es ab, kurze Stille, dann ein lautes Pling: das Signal, dass
eine Chatnachricht eingegangen ist. Nun fängt das Klappern wieder an. Seit
über einer Stunde sitzt der afrikanische Junge so an Ilarias Computer.
»Wir sind weiß, Ilaria. Unser Vater ist weiß. Wenn er wirklich ein Viertel
unseres Blutes haben soll, müsste er, sagen wir, beige sein. Aber er ist
braun.«
»Beige? Braun? Wie redest du denn, Attilio! Möchtest du seine Hautfarbe
vielleicht anhand der Pantone-Farben bestimmen?«
»Die brauche ich nicht. Das sehe ich mit bloßem Auge, dass er zu
dunkelhäutig ist.«
»Und ich habe mit bloßem Auge einen äthiopischen Ausweis gesehen,
auf dem der Name meines Vaters steht, der auch deiner ist. Das ist Fakt.«
»Es ist aber nicht Fakt, dass er wirklich der ist, der er zu sein vorgibt. Er
hat ja sogar die krausen Haare der Afrikaner. Was macht er eigentlich da
drüben?«
»Er liest seine E-Mails. Darum hat er mich als Allererstes gebeten, noch
vor etwas zu essen.«
Der Junge hatte keinen Studientitel mehr, keine Familie mehr, seine
Mutter würde er erst im Paradies wiedersehen. Das Geld, mit dem er
aufgebrochen war, füllte jetzt die Taschen der Schlepper. Seine Arbeit als
Lehrer – die Klasse mit den bröckelnden Wänden, die Kinderstimmen, die
von der Tafel im Chor I am, you are, he she it is ablesen, die kleine Tsahai
mit ihrer Intelligenz – für immer verloren. Nur eine Sache war nicht nutz-

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