Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Klasse der Achtziger?«
»Natürlich nicht. Ich gehöre noch zu denen, die gerührt sind, wenn sie
Hammer und Sichel sehen.«
»Hammer und Sichel bekommst du aber nicht ohne Stasi und KGB.«
»Die Stasi und der KGB haben mir Hammer und Sichel genommen.
Besser gesagt geklaut.«
Er lächelte, und die Luft aus seiner Nase fuhr ihr durch die
Nackenhärchen. Er roch daran, denn diesen Geruch liebte er mehr als jeden
anderen auf der Welt. »Ilaria, du bist die klügste Frau, die ich kenne.
Niemand hat so saubere Absichten wie du. Aber du hast dich entschlossen,
eine Hälfte der Realität auszublenden.«
»Genau das Gleiche denke ich von dir.«
»Siehst du, wir müssen also doch heiraten. Dann können wir die ganze
Wahrheit sehen.«
»Vergiss es. Das würde niemals funktionieren, das weißt du. Und wenn
du nicht aufhörst, mich das zu fragen, müssen wir aufhören, miteinander zu
vögeln.«
»Du und ich werden nie aufhören, miteinander zu vögeln.«
Wenige Wochen später wurde Piero zum Abgeordneten gewählt und
nahm seinen Platz auf der rechten Seite des Halbkreises ein. Berlusconi hatte
die Wahl gewonnen. Zum ersten Mal in der Geschichte der italienischen
Republik gehörte eine Partei der extremen Rechten der Regierungskoalition
an. Plötzlich hörte man Sachen, die fünfzig Jahre lang ein nostalgisches
Schattendasein geführt hatten. Meinungen, die für jedermann mit
demokratisch glaubwürdigen Ambitionen unaussprechlich waren, erklangen
in den Äußerungen der höchsten institutionellen Ämter.
Die neue junge Präsidentin der Abgeordnetenkammer pries wenige Tage
nach ihrer Vereidigung die vielen guten Dinge, die der Faschismus ihrem
Dafürhalten nach für die italienischen Frauen getan hatte. Ministerpräsident
Berlusconi fischte eine alte Legende aus der Mottenkiste, der zufolge unter
Mussolini die Züge pünktlich fuhren. Der Parteisekretär der extremen
Rechten, der demonstrieren wollte, dass er endlich integrierbar, demokratisch
und folglich vorzeigbar geworden war, wählte den 25. April, den Tag der
Befreiung vom Faschismus, um eine sogenannte »Versöhnungsmesse« zu
zelebrieren. Es solle Schluss sein mit der Zweiteilung Italiens in Partisanen
und Schwarzhemden, sagte er, zwischen ’43 und ’45 hätten junge Männer mit

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