Alle ausser mir

(Jeff_L) #1

Wenn du dann sagst, naja, also eigentlich war es ein bisschen anders, dann
wirst du als Nervensäge bezeichnet.«
»Ilaria, ich bezeichne dich nicht nur als Nervensäge. Du bist eine.«
»Merkst du denn gar nicht, wie rechts diese Mir-doch-egal-Haltung ist?«
»Ich hatte nicht den Eindruck, dass du alles von rechts schlecht findest.
Zumindest nicht im Bett.«
Ilaria spürte, wie ein heißer Stich sie durchfuhr und ihr Hals und Gesicht
rot färbte. »Was willst du damit sagen?«
Emilio lächelte gutmütig. »Ich habe ihn vorgestern aus deiner Haustür
kommen sehen. Er hat so getan, als ob er mich nicht erkennt. Ich hatte gerade
dem Makler den Schlüssel zu meiner Wohnung gegeben. Aber keine Sorge,
ich erzähle niemandem von dir und dem Onorevole Piero Casati,
Abgeordneter der Forza Italia.«
Onorevole Piero Casati von Forza Italia. Der Mensch, der ihr mit acht
Jahren nach Rotze und Schokolade schmeckende Küsse versetzt hatte. Mit
dem sie als junge Erwachsene entdeckt hatte, wie sich menschliche Körper
einander hingeben können. Der irgendwie ein Teil von ihr war. In den letzten
Monaten jedoch nahm die Zahl der Dinge, die Ilaria ausblenden musste,
wenn sie Piero traf, allmählich überhand. Die Regierung, die die Mehrheit
errungen hatte und deren Teil er war, beging eine Schweinerei nach der
anderen. Dabei war sie erst kurze Zeit im Amt. Was würde sie erst in fünf
Jahren Legislaturperiode alles anrichten? Berlusconi hatte eine
Rechtsverordnung eingebracht, die auf so unverblümte Art und Weise die
wegen Korruption Verurteilten begünstigte, dass sie den Spitznamen »Rettet
die Diebe« bekam. Die Richterschaft trat in den Streik, eine große Anzahl
empörter Bürger protestierte und schließlich wurde das Dekret rückgängig
gemacht. Und doch hätte der Abgeordnete Piero Casati, getreu dem Diktat
seiner Mehrheit, im Falle einer Abstimmung dafür votiert. Bei dem
Gedanken überkam Ilaria der Ekel. Ein Widerwille, als müsse der Körper
etwas abstoßen, das er als fremd empfindet. Was hatte das alles mit ihr zu
tun? Was hatte das, diese Ethik der Straffreiheit und des Diebstahls mit dem
zu tun, wie sie lebte? Mit dem, woran sie glaubte, mit ihrem Beruf als
Pädagogin? Seit er gewählt war, hatten sie und Piero stummen Sex wie zwei
Verdammte, nach dem er sofort wieder verschwand, auch wenn er hätte
bleiben können. Es gab eigentlich keinen Grund für die Geheimniskrämerei,
sie waren beide frei und kein illegitimes Paar. Doch in diesem Moment

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