wurde Ilaria klar, dass sie sich für ihr Verhältnis mit ihm schämte. Als wäre
es unanständig, falsch.
»Ja, manchmal kommt Piero auf einen Kaffee vorbei«, sagte sie zu
Emilio. Aus ihrer Stimme klang die überwältigende Bitterkeit, mit der man
Dinge leugnet, die einem am meisten am Herzen liegen. »Du weißt ja, dass
wir zusammen aufgewachsen sind.«
Emilio blühte sichtlich auf. Sein Gesicht war kurzzeitig von so großer
Schönheit, wie sie normalerweise nur auf den Fernsehbildschirmen zutage
trat durch das Geheimnis der Fotogenität. »Herrlich!«, rief er strahlend aus.
»Wunderbar, Schwesterchen! Auch du bist eine Heuchlerin. Auch du erzählst
Lügen.« Er schlang seine Arme um sie und küsste sie auf die Wangen. »Ich
liebe dich«, sagte er, und niemals war seine Zuneigung so aufrichtig
gewesen.
Sie waren zu unterschiedlich, sagte Ilaria zu Piero, das wussten sie beide, so
sehr sie sich auch liebten – ein Verb, das Ilaria im Gegensatz zu ihm nicht
verwendete. Nur bei dieser Gelegenheit und in Kombination mit dem
Adjektiv »unmöglich«. Er ließ sie ausreden, dann hatten sie zorngeladenen
Sex miteinander. Danach lauschte sie auf seine eiligen Schritte, die auf den
Treppenstufen die sechs Stockwerke hinab verklangen.
An diesem Abend lud Lina, der sie mit rot geschwollenen Augen im
Treppenhaus begegnet war, sie zu einem Kaffee ein, ohne indiskrete Fragen
zu stellen. Stattdessen erzählte sie von ihrer Kindheit, als sie zwischen den
Kulissen aus dem Opernhaus Verstecken gespielt hatte, die im Jugendstil-
Aquarium der Piazza Fanti gelagert wurden.
»Wir legten uns in die Sarkophage aus Gipskarton und spielten, dass wir
Heldinnen waren, die auf der Bühne starben: Aida, Tosca, Madame
Butterfly ... Als Kind dachte ich, auf der Bühne sterben die Besten; aber
heute bin ich alt und weiß, dass aus Liebe zu sterben nur etwas für
Dummköpfe ist.«
Ilaria lachte und beruhigte sie: Auch wenn sie gerade traurig war, so
dumm war sie nicht und würde es nie sein.
Die erste Regierung Berlusconi stürzte, die Linke gewann die
darauffolgenden Wahlen, machte aber keine Gesetze, die ihn aufhalten
konnten, und so kam Berlusconi nach ein paar Jahren wieder an die
Regierung. Die italienische Linke verlor weiterhin die Wahlen, füllte aber die