jeder andere italienische Staatsbürger mit den nötigen finanziellen
Ressourcen es getan hätte, entschied auch er sich daher für eine Privatklinik.
Während er darauf wartete, für den OP-Saal vorbereitet zu werden, hatte
die Möglichkeit, dass die Wucherung, die nun entfernt werden sollte, ein
bösartiger Tumor war, sich dunkel und schwer wie ein Stein auf sein Gemüt
gelegt. Er schaffte nur elementare Gedankengänge: »Jetzt drücke ich die
Zahnpastatube aus«, »Jetzt verabschiede ich meine Frau, die mir die
Zeitungen gebracht hat«, »Jetzt schalte ich den Fernseher da oben auf dem
Regalbrett ein.« Sein Vorstellungsvermögen über die unmittelbare Gegenwart
hinauszurichten hätte bedeutet, den Pfeilen der Zeit zu folgen und in eine
ungewisse Zukunft zu schauen. Das vermied er lieber.
Als Ilaria in die Klinik kam, war ihr Vater noch nicht aus der Betäubung
aufgewacht. Er war allein im Zimmer, Anita sprach gerade mit den Ärzten.
Ilaria hatte eine Schachtel Pralinen mitgebracht, die sie auf den Nachttisch
stellte. Sie setzte sich neben das Bett und betrachtete den Schlafenden. Das
hatte sie seit ihrer Kindheit nicht mehr getan, als sie beauftragt war, ihn nach
seinem Mittagsschläfchen mit einem feuchten Tuch im Gesicht zu wecken.
Seine Züge waren klar wie immer, die hohe Stirn, die gerade, aber nicht
dünne Nase. Der leicht geöffnete Mund verlieh ihm einen verletzlichen
Ausdruck, nie hätte er gewollt, dass vor allem sie ihn so sieht. Verlegen
wandte Ilaria den Kopf ab.
Die Pralinen hatten zwei verschiedene Geschmäcker, Milchschokolade
und dunkle Schokolade. Ilaria öffnete die Packung, schloss die Augen und
wählte auf gut Glück eine aus. »Dunkle Schokolade heißt, die Biopsie ist
negativ, Milchschokolade ...« Sie machte die Augen auf. Die Praline in ihrer
Hand war von tiefdunklem Braun, fast schon schwarz. Ilaria fühlte eine
absurde Erleichterung. Sie öffnete den Mund und aß sie mit einem Bissen.
Am nächsten Tag kam ihn Marella besuchen. Mehr als zehn Jahre nach
ihrer völlig verworrenen Scheidung hatte Ilarias Mutter sich zu dieser großen
Geste entschlossen, ein Stützpfeiler im beschwerlichen Prozess des
Wiederaufbaus der eigenen Würde als betrogene Frau. Die Gelegenheit war
optimal. Sie saß in dem kleinen Sessel ein paar Meter von Attilios Bett
entfernt, der Patient noch blass und schmerzgebeugt, und unterhielt sich mit
ihm wie unter vernünftigen Leuten. Thema: das Leben ihrer drei Kinder und
vor allem der Enkelkinder. Nach gut zwanzig Minuten stand sie auf.
»Brauchst du noch etwas, bevor ich gehe?«
jeff_l
(Jeff_L)
#1