schmetterling

(Martin Jones) #1

»Nicht hier«, sagt Luther mit Blick auf die wenigen Gäste, die noch die
Terrasse bevölkern. »Oben in deinem Zimmer.«
Darlene erhebt sich mit einem Seufzer. »Schauen wir’s uns an.«
»Du nicht, Ma.« Luther fasst sie bei den Schultern und gibt ihr einen
schmatzenden Kuss auf die Wange. »Wie du ganz richtig sagst: Man schläft
danach nur schlecht.«


Die große Überraschung steht gleich zu Beginn, noch bevor sie irgendetwas
gesehen haben.
»Er ist nicht gesperrt«, sagt Tamy verblüfft.
Auf dem Bildschirm ihres Laptops prangt ein Festplattensymbol. Als sie es
öffnet, erscheinen die Icons dreier Videos in mp4-Komprimierung, datierend
vom vergangenen Abend. Tamy klickt das oberste an, und ein Fenster mit
Navigationsleiste poppt auf, kreuzförmig geteilt. Aus vier Perspektiven ist ein
Hof zu sehen, weiträumig, desperat und umstanden von Lichtmasten. Starke
LED-Planflächen-Scheinwerfer erhellen die Nacht, Teile einer Rampe ragen
ins Bild. Im Hintergrund vertraut wirkende Berge, lang gestreckte Scheunen.
Nichts an der Szenerie ist in irgendeiner Weise bemerkenswert. Sie vermittelt
die Tristesse sich selbst beleuchtender Zweckarchitektur, ein Dokument der
Abwesenheit.
»Überwachungskameras«, sagt Ruth.
»Findet ihr das nicht komisch?«, sagt Tamy. »Ich meine, wofür benutzt
jemand einen IDkey, wenn er ihn nicht sperrt? Das ist, als ob du deine


geheimsten Phantasien einem Tagebuch anvertraust und es dann offen
rumliegen lässt.«
Luther reibt seine Kinnspitze und sieht Ruth an.
»Wo genau hat Meg den Stick gefunden?«
»Zwischen Sitzfläche und Rückenlehne. Tief reingerutscht.«
Er betrachtet versonnen den Bildschirm. Tamy hat recht. Etwas an der
Geschichte mit dem Stick ergibt keinen Sinn. Dann weiß er es. Mit einer

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