schmetterling

(Martin Jones) #1

»Ich spaziere um Ihre Farm.«
»Oh, Sie haben von selber hingefunden.«
»Sollte ich wohl. Das ist mein County.«
»Umso besser. Wir landen in einer Viertelstunde. Geht es in Ordnung,
wenn Sie Ihren Spaziergang so lange fortsetzen? Ich kann natürlich den
Wachdienst instruieren, Sie reinzulassen, was Ihnen das überschaubare
Vergnügen eines Bistroaufenthalts eintrüge.«
»Nicht nötig. Ich warte draußen.«
Er steckt das Handy ein und geht weiter. Den Weg kreuzt ein Rinnsal, in
dem winzige Fische zwischen bunten Kieseln zucken. Unversehens hat es
aufgefrischt. Wolken vom Aussehen zerrissener Zuckerwatte treiben über
dem Yuba-Pass, zartrosa Gespinste, hinter denen es sich rasch eintrübt. Ein
fahlweißes Tuch wird über Sierra gezogen, und Luther verharrt, eigenartig
berührt. Abschiedskühle liegt in der Luft, still und unmerklich verändert sich
die Welt, und was verlorengeht, geht unwiederbringlich. Irgendwann wird es
keinen Frühling mehr geben, keinen Sommer, Herbst, Winter. Nicht die
Zyklen werden enden, nicht die Dinge verschwinden, sondern die Menschen,
die sie benannt und die in ihnen gelebt haben. Alles Geschehen vom
Anbeginn der Zeit bis heute und darüber hinaus wird in der Namenlosigkeit
einer Schöpfung fortbestehen, die keinen Schöpfer kennt, sondern nur sich
selbst. Der Schrei einer Frau, die in einen Abgrund stürzt. Die Schreie einer
anderen, lange verhallt –
Der Pfad nähert sich wieder dem Wald an. Unweit die Zufahrtstraße und
Warnschilder: »Privatgelände«, »Stopp«, »Zugang für Unbefugte untersagt«.
Zwischen Kiefernstämmen gerät ein Wachhäuschen samt Schranke in Sicht,
bestückt mit Satellitenantennen und Kameras. Das rot leuchtende Auge einer
Ampel starrt Luther feindselig entgegen, dahinter läuft der Spalierzaun durch.
Jenseits davon das Herrenhaus, ein elfenbeinweißes Prachtstück mit
Balkonen und Antebellum-Flair, das man eher in Louisiana verorten würde:
Tara, aus Holz gebaut. In einer letzten magischen Geste färbt die Sonne das

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