schmetterling

(Martin Jones) #1

Villa nähert sich jemand beschwingten Schrittes. Der Wachhabende gibt ihm
den Ausweis zurück, das Zyklopenauge der Ampel wird grün. Geräuschlos,
als schwebe es in seinen Schienen, gleitet ein Tor zur Seite, und Luther hat
im Hindurchgehen das Gefühl, sein County zu verlassen und ein fremdes
Königreich zu betreten. Er schaut zum Himmel, der sich merklich eintrübt.
Das rosa Licht ist von der Fassade des Obergeschosses verschwunden, die
Sonne sieht aus wie rote Pappe hinter Wasserdampf. In seinem Rücken
schließt sich das Tor so lautlos, wie es sich geöffnet hat. Sein Ein-Mann-
Begrüßungskomitee eilt ihm entgegen: mittelgroß, untersetzt und blond, das
Haar durchzogen von Silberfäden, randlose Brille, Krawatte gelockert, die
Hemdsärmel oben. Zwischen den aknenarbigen und etwas schlaffen Wangen
wirkt der Mund zu klein, die Augen zwei blassblaue Murmeln, in Teig
gedrückt. Kälte und ein hohes Maß an Zielstrebigkeit schimmern darin.
Jemand, den seine Physiognomie früh geprägt hat, beruflich etwas mit Zahlen
zu machen, und mit dem sich auf der High School keiner anlegen mochte,
weil selbst den Schlägern seine Eigenschaftslosigkeit suspekt war und man
nie wissen konnte, ob man sich bei so einem mehr Dresche einhandelte, als
man ihm hatte zuteilwerden lassen.
»Hugo van Dyke«, sagt der Mann und streckt Luther die Rechte entgegen.
Er lächelt, und die kleine mimische Korrektur entfaltet eine frappante
Wirkung. Von Kälte keine Spur mehr. Die blauen Augen blitzen, Offenheit
wird zum bestimmenden Merkmal seines Wesens. Luther schüttelt die
dargebotene Hand, ein kräftiger, kontrollierter Druck. »Danke, dass Sie sich
die Zeit genommen haben.«
»Das ist das Mindeste.« Van Dyke weist ins Innere der Villa. »Bitte.«
Zügig, wie er Luther in Empfang genommen hat, geht er ihm voraus. Sie
gelangen in ein mit dunklen Bohlen ausgelegtes Foyer, beherrscht von einem
Fahrstuhl, dessen ausladende Front in keinem Verhältnis zu seiner Funktion
steht, die wenigen Geschosse miteinander zu verbinden, zumal ihn
Freitreppen flankieren. Panzerglas ummantelt Fahrstuhlschacht und Stiegen,

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