schmetterling

(Martin Jones) #1

ist erreicht, freie Fläche bis zur Wand, darin ein Rolltor, flankiert von
Stahltüren. Der Fliehende, seiner Deckung beraubt, hält aus Leibeskräften auf
eine der Türen zu und geht dahinter verloren. Luther flucht. Rennt, schlittert,
seine Hand auf der Klinke. Zögert. Der andere wird ihm einen rüden
Empfang bereiten, doch als er die Tür mit vorgehaltener Waffe aufreißt,
erwartet ihn nur ein milchig beleuchtetes Treppenhaus. Unten rumoren
Rodriguez’ Stiefel, er will tiefer, noch tiefer –
Was ist da unten?
Etwas Verlockendes. Abstoßendes. Angst und Einsamkeit, aber auch
machtvolleres Wissen, als sich in der Flüchtigkeit des Lichts erlangen lässt.
Wer einmal die Bekanntschaft der Tiefe gemacht hat, hineingeworfen in ihre
wispernde Leere und Konturlosigkeit, wo alles Mögliche und Unmögliche
Gestalt annehmen kann, bleibt ihr verfallen. Ein Teil Luthers ist im Tiefen
heimisch geworden, also zögert er. Seine innere Stimme warnt ihn,
Rodriguez dorthin zu folgen. Er kann den Mann immer noch zur Fahndung
ausschreiben lassen. Kindergedanken schrecken auf und flattern gegen seine
Schädelwände, dass in Kellern und Höhlungen Dinge schlummern, die man
besser nicht wecken, unangetastet lassen sollte, und dass er gut daran täte,
seine Schritte zurück an die Oberfläche zu lenken, aber genau das sind sie:
Kindergedanken, die zerstieben, während ihn seine Beine abwärts tragen.
Jetzt kann er eine Art Rhythmus ausmachen, eine gewaltige, pulsierende
Entität, als liege am Grund des Schachts ein riesiges Tier in schwerem Schlaf,
dessen Herzschlag die Wände zum Erzittern bringt. Stärker und metallischer
wird das Pochen, je tiefer er kommt. Zwischen den Treppenläufen sieht er
den Fußboden, hört eine weitere Tür zufallen, dann steht er davor,
augenscheinlich die einzige Möglichkeit, das Treppenhaus wieder zu
verlassen. Kein Zweifel, es gibt keinen anderen Weg, und diesmal zögert
Luther nicht. Noch während er die Klinke herabdrückt, im Überschreiten der
Schwelle, weiß er, was ihn jenseits des Schachts erwartet. Es kann nur so
sein – und doch ist er durch nichts vorbereitet auf das Fremdartige, brodelnd

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