schmetterling

(Martin Jones) #1

überdauern konnte? Wozu diente dann alles Forschen, Programmieren,
Grenzen überschreiten? Wozu reisen, wenn es eine finale Zäsur gab, die
einen zwänge, sich so lange im Kreis zu drehen, bis die letzte elektrische
Aktivität im Hirn aussetzte? Die innere Landschaft zu erkunden, erklärte ihm
sein Vater an einem der seltenen Tage, an denen er seinen Sohn bemerkte, sei
der eigentliche Sinn, aber diese Reise endete ja auch, wie man nun wusste.
Elmars Welt verlor sich an uninteressanten Horizonten. Ein Ende war einfach
nie vorgesehen gewesen in seiner Planung, und jetzt war allem ein Ende
gesetzt und ihm alles unverständlich.
Die Wissenschaftsverdrossenheit währte nur kurz, die Melancholie länger.
Schnell saß er wieder am Rechner und schrieb Programme mit dem Ehrgeiz,
die Entwicklung künstlicher neuronaler Netze und selbstlernender Systeme
voranzutreiben, überzeugt, dass Computer, die in rekursiven Prozessen klüger
würden als der Mensch, schließlich auch Wege gegen den Verfall fänden –
sowohl gegen den geliebter Personen als auch den kosmischen. Die zyklisch
in Mode kommende Theorie paralleler Universen verhieß eine von ferne
funkelnde Möglichkeit, auszubüxen, wenn das eigene Universum starb, und
hatten sie in Stanford nicht während der Siebziger Erfolge mit
computerbasierten Diagnose-Systemen erzielt? Wem sollten die großen
medizinischen Durchbrüche, die Siege über Krankheit und Tod gelingen,
wenn nicht dem Computer? Elmar verschrieb sich der Aufgabe, ein
Programm zu entwickeln, das seiner Mutter zur vollständigen Heilung
verholfen hätte – und verzweifelte darüber, es nicht zu können. In den
ausgehenden Neunzigern, seine Abschlüsse in der Tasche, den Keller voller
Medaillen und Pokale des universitätseigenen Sportclubs und zunehmend
gelangweilt davon, dass es reichte, dekorativ auf seine Schuhspitzen zu
starren, um sich vor verklausulierten und offenen Beischlafangeboten kaum
retten zu können, sah er seine innere Landschaft vollgestellt mit Monumenten
persönlichen Scheiterns, da konnten sie ihm noch so oft erzählen, er sei ein
Jahrhunderttalent.

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