schmetterling

(Martin Jones) #1

steifgliedrig auf die Beine kommt, aus seiner provisorischen Unterkunft
stakst und durch das Fenster der Nebenzelle schaut. Ein muskelbepackter
Hüne liegt darin ausgestreckt, das Gesicht abgewandt, Beine
übereinandergeschlagen und Arme hinterm Kopf verschränkt. Luther glotzt
ihn an, den Schädel eigenartig leer. Sein Denken implodiert. Er reibt mit
Zeige- und Mittelfinger durch seine Augenwinkel, massiert die Nasenwurzel,
doch das Bild des Hünen auf der Pritsche bleibt. Unter regelmäßigen
Atemzügen hebt und senkt sich die kastenförmige Brust. Luther hegt keinen
Zweifel, dass der Kerl ebenso wach ist wie er selbst und ihn durch die
Wimpern beobachtet. Er wendet sich ab. Jetzt wird es eng. Den
Sicherheitschef von Nordvisk Inc. dort liegen zu sehen, erübrigt die Frage, ob
Luther ihn vergangene Nacht wirklich verhaftet und hierhergebracht hat. Hat
er, also war er auf der Farm. Warum? Zur Klärung der Todesumstände einer
Frau namens Pilar Guzmán, die in der Nacht zuvor gestorben war, nur um
Rodriguez keine vierundzwanzig Stunden später quicklebendig ins Gemächt
zu treten und in einen Geländewagen zu steigen, der dort nicht hätte stehen
dürfen, weil er nämlich schon in Meg Danes Autowerkstatt stand.
Und überhaupt war vorgestern gestern.
Hinter der Tür zum Gefängnistrakt nähern sich Schritte, stoppen. Luther
erkennt Carl Maras rheumatisches Schlurfen. Carl, der umstandslos zur Sache
kommen wird, also sollte er seiner vagabundierenden Gedanken Herr werden.
Fieberhaft rekapituliert er die Ereignisse, nachdem er Rodriguez
Handschellen angelegt hat, ohne noch recht zu wissen, warum eigentlich, da
die in den Tod Getriebene alle Anzeichen von Vitalität erkennen ließ und ihr
Jäger kein Eichhörnchen mehr den Baum hätte raufscheuchen können, weil
dingfest gemacht wegen Körperverletzung. Zwar hatte die Frau, die wie Pilar
aussah, Rodriguez ihre Fingernägel in den Hals gegraben – so war seine Haut
samt Stoppeln darunter gelangt –, aber deswegen den Knüppel zu bemühen,
konnte man dem Kerl schon als unverhältnismäßig auslegen.
Ich habe einer Toten das Leben gerettet, denkt Luther.

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