schmetterling

(Martin Jones) #1

Adern folgen zu können. Er sieht Ruth, als sähe er sie zum ersten Mal, ohne
sich zu erinnern, ob sie jemals Make-up getragen hat, aber täte sie es, sie
würde es mühelos auf das Cover der Vogue schaffen.
Ruth, seine sperrige Vertraute.
Was geschieht bloß mit ihm? Als versuche ein Teil seiner Selbst, in eine
andere Wahrnehmung zu entfliehen, die visuelle Entsprechung des Pfeifens
im Walde. Man müsste einen Psychologen befragen. Aber was sollte der
erklären, was Luther nicht längst schon weiß? Denn der Prozess der
Abspaltung ist ihm vertraut. In den Tagen nach Jodies Tod fiel sein
Augenmerk in ähnlicher Weise auf Dinge, die er nie zuvor in solcher Schärfe
und Intensität wahrgenommen hatte, als wolle ihn die Realität ihrer
Gültigkeit versichern, und auch jetzt scheint sie alles daranzusetzen, sich als
einzig, alternativlos und nicht verhandelbar zu präsentieren.
Er wartet. Als Ruth endlich spricht, klingt sie wie eingerostet. »Das alles
glaubst du wirklich?«
»Was heißt glauben? Es ist so.«
Sie zeigt auf das Bild. »Ist es nicht.«
»Nicht.« Luther weiß nicht, was er entgegnen soll. Müdigkeit legt sich auf
seine Schultern. »Hier vielleicht nicht.«
»Hier?«
»Jodie ist 2010 gestorben.«
»Unsinn. Das da sind deine Tochter und deine Ex. Der Hund ist gestorben,
vor drei Monaten. Riesendrama!«
»Ruth, du kennst meine Lebensgeschichte –«
»Ja, und es wäre hilfreich, wenn du sie auch kennst. Ich meine, du hast mir
vieles erzählt, seit wir uns kennen, und das meiste stimmt mit dem überein,
was du gerade vom Stapel gelassen hast – aber diesen Unfall hat es nie
gegeben.«
»Wie kannst du da sicher sein?«
Sie starrt ihn an.

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