schmetterling

(Martin Jones) #1

In der Schlucht schwebt ein blutiger Engel.
Nicht ganz fünf Meilen hinter Flume Creek, dort wo die Felswände
senkrecht abfallen und sich der North Yuba River tief am Grund durch den
blanken Stein frisst, bevor ihn eine eng gestaffelte Folge von Katarakten in
jene Bestie verwandelt, die zu reiten Wildwasserkanuten von überallher
lockt, ist er mit seinen zerfetzten Flügeln einem Touristenpaar aus
Bakersfield erschienen, das vor lauter Schreck prompt kenterte.
Erscheinungen himmlischer Wesen gefährden die Verkehrssicherheit,
denkt Luther Opoku.
Stell dir vor, heutzutage ginge einer übers Wasser.
Saftige Geldstrafe.
Von Luthers erhöhter Warte aus ist die Tote weniger gut zu erkennen als
vom vierzig Meter tiefer gelegenen Fluss. Das liegt daran, dass sie beim
Sturz in den Baum, der auf halber Höhe aus der Wand wächst, fast durch das
ganze Geäst gebrochen ist, bis sie sich in den unteren Zweigen derart verfing,
dass sie nun mit ausgebreiteten Armen und Beinen über dem Flusslauf zu
schweben scheint. Die Äste haben sie blutig geprügelt und ihr die Bluse vom
Leib gerissen, deren zerfledderte Überreste oberhalb der Schultern ins Laub
drapiert sind und sich im Wind blähen, sodass man darin mit einiger
Phantasie ein kraftloses Flattern erkennen kann, einen zum Scheitern
verurteilten Befreiungsversuch.
Die Befreiung übernehmen jetzt andere. Die des Körpers, um genau zu
sein. Der Geist dürfte sich schon vor Stunden seiner irdischen Fesseln
entledigt haben.

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