schmetterling

(Martin Jones) #1

dahingeschmolzen und jede Grenze überschritten ist, die Luft nicht mehr zum
Atmen reicht, Ohnmacht und Wut sich wie ein Filter über alles legen, dann –
der Welt entfremdet – hat man verstanden, was Einsamkeit ist, und Luther
muss sich gerade schrecklich einsam fühlen. Ein scharfer, isolierter Verstand,
der auf sein Recht auf Unantastbarkeit pocht, während etwas Monströses von
außen hereinbricht, sich seiner bemächtigt und ihn gegen seinen Willen zu
verändern beginnt.
Sähen wir uns im Zeitraffer altern, denkt sie, es wäre nicht anders. Wir
müssten schreiend verrückt werden. Mit jeder Minute werden wir verändert,
ohne das Geringste dagegen ausrichten zu können. Sekündlich wird uns
etwas genommen, gegeben wird uns nur, was wir uns nehmen. Vielleicht hat
Willard Bendieker in seinem dumpfen Provinzschädel ähnlich empfunden.
Vielleicht schlug er Alicia, weil er den Tod fürchtete, wie so viele der
Männer im Süden, deren jugendliche Unbesiegbarkeit sie in den Glauben
treibt, die Welt werde ihnen jederzeit bereitwillig nachgeben, und dann
wächst ihnen der mäkelige Alltag über den Kopf. Zu ganzen Kerlen erzogen,
sehen sie sich in Büros, Fernsehsesseln, Schlaf- und Kinderzimmern
verschwinden. Vielleicht dachte Willard, er müsse sich nehmen, was ihm
vorenthalten wurde, weil sein Leben sonst jeden Sinn verlöre, zumal er schon
unfruchtbar war.
Dass er es nicht war, dafür fand er den Beleg im Badezimmer. Einen
leeren, aber unverkennbaren Blister, leichtsinnigerweise von Alicia obenauf
im Mülleimer platziert. Der anschließende Streit entfesselte, wie nicht anders
zu erwarten, Willards erbärmlichste Dämonen, wäre aber im häuslichen
Rahmen geblieben, hätte nicht eine verschwitzte Augustnacht weitere
verschwitzte Nächte nach sich gezogen, in denen Ruth und Alicia sich
nahmen, was sie sich Jahre vorenthalten hatten. Und als nun Willard vom
Prügeln erschöpft und seine Frau nicht länger fähig war, zurückzudreschen,
versetzte sie ihm den letzten Schwinger eben mündlich: dummer, hilfloser
Willard.

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