schmetterling

(Martin Jones) #1

dem Brötchen. In der Touristensaison ist das St. Charles Place ein lärmender,
ausgelassener Ort, an Abenden wie diesen durchtränkt von jener schwer zu
fassenden Melancholie, die nur versteht, wer in den Lebenden die Toten
sieht. Die drei riesigen Spiegel hinter der Bar werfen jeden gefassten Vorsatz,
der über die nächste Bestellung hinausgeht, auf ihren Urheber zurück. Man
starrt blind auf sich selbst, für den Moment zufrieden. Das kräftige Bier spült
den bitteren Geschmack vergeudeter Jahre hinunter, die Ereignislosigkeit des
Abends wärmt wie ein falsches Kaminfeuer. Im Zentrum aller Fragen prangt
die Zapfbatterie, ein machtvolles Instrument voller Schalthebel, um einen
woandershin zu bringen.
Ruth badet ihre Finger in Fett. Das Pulled Pork Sandwich ist göttlich! Sie
wischt sich den Mund ab, reinigt die verschmierten Finger mit der Serviette.
»Lust, ’ne Runde zu spielen?« D.S. deutet mit dem Kinn zum Billardtisch.
Sein Bart ist dicht und weiß, das Haar zum Zopf geflochten, die Brust breit
wie ein Klavier.
»Warum nicht?«
Er fischt nach einer Münze. Mit vollem Namen heißt D.S. Donald Scott
McMillan. Sein Bruder lehrt englische Literatur in Princeton, aber D.S. liest
nicht. Eine Ruhe geht von ihm aus, die Ruth regelmäßig das Gefühl gibt, an
einem sengend heißen Nachmittag im Schatten eines Monolithen zu sitzen,
den Rücken an den kühlen Stein gelehnt und im Wissen, dass er schon lange
vor ihrer Geburt dort stand und noch stehen wird, wenn sie selbst nur eine
Erinnerung ist. Menschen wie D.S. sind Hüter einer absoluten Erfahrung, vor
der Kreaturen wie Willard Bendieker einfach zerpulvern.
Sie spielen eine Partie, die D.S. locker gewinnt.
»Du bist nicht bei der Sache, Ruth.«
»Der Tisch steht schief.«
Was zutrifft, nur ist das nichts Neues und hilft keiner Seite, wodurch es
auch keine benachteiligt. D.S. lächelt. Falten furchen sein Gesicht, deren

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