schmetterling

(Martin Jones) #1

»Jedenfalls schien es ihm nicht geraten, Hilfe zu holen.«
»Nein. Er wollte was anderes.«
Ruths Pupillen weiten sich in Erwartung. »Und was?«
Ein Rumpeln und Knirschen nähert sich über den Forstweg. Steinchen,
Äste und abgestorbene Kiefernnadeln werden zermalmt und in den feuchten
Boden gepresst. Durch die Lücken zwischen den eng stehenden Bäumen
kann Luther den Krankenwagen sehen, der über den Waldweg heranrollt und
ruckartig zum Stehen kommt. Eine grauhaarige Frau klettert aus dem Fond
und drückt einem der beiden Sanitäter einen absurd großen Arztkoffer in die
Hand.
»Haben die sie noch alle beisammen?«, sagt er mit gefurchten Brauen.
»Wieso parken die nicht oben auf dem Highway?«
»Weil wir die Zufahrt noch nicht abgesperrt haben.«
»Und warum –«
Den Rest der Frage spart er sich. Warum wohl? Weil sie zu wenige sind.
»Luther? Huhu! Ich fragte, was?«
»Was, was?«
»Was wollte er, wenn nicht Hilfe holen?«
Er löst seinen Blick von dem Sanitätsfahrzeug und atmet tief durch. Falls
sie auf dem Forstweg gerade Spuren unkenntlich gemacht haben, kann er das
jetzt auch nicht mehr ändern.
»Sich vergewissern, schätze ich. Dass sie tot ist.«
Langsam geht er hangaufwärts. Der dichte Teppich aus Nadeln und
verrottenden Blättern federt seine Schritte ab. Unter dem Laubdach duftet es
nach den Regengüssen der vergangenen Nacht, nach Ozon und ätherischen
Ölen. Spaliersträucher, Wildblumen und Farne wuchern zwischen Geröll und
scharfkantigem Bruchstein, niedrig wachsender Lorbeer und Nusseibe bilden
ein filziges Durcheinander. Man muss schon sehr genau hinsehen, um die
geknickten Äste auszumachen, anhand derer sich der Weg des Engels
zurückverfolgen lässt – zu dem Wagen, der vor der Douglasie hängt. Vor

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